Hannes Krämer

Maskenkommunikation

Maskenkommunikation Von: Hannes Krämer

“Have you ever worn the mask one-two one-two”1

In der materiellen Kultur der Pandemie ist die Maske allgegenwärtig. Sie steht gleichermaßen für eine unsichtbare Gefahr wie für eine adäquate Schutzreaktion. Sie ist materiales Zeugnis unseres alltäglichen Umgangs mit Corona und wohl auch eines der Objekte, welche die Corona-Pandemie in musealen Kontexten repräsentieren werden. In der popkulturellen Ikonografie jedenfalls ist die Maske schon längst angekommen.

Abbildung 1: Plakatserie der Kunsthochschule Weißensee: https://www.kh-berlin.de/projekt-detail/Project/detail/corona-plakatkampagne-3312.html. Foto: Hannes Krämer.

Die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung gilt laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als eine der „offensichtlichsten Veränderungen“unseres Alltags seit Beginn der Pandemie; auch wenn die Verwendung von Verhüllungen bereits zuvor verbreitet war, etwa beim Karneval, beim Eishockey, im OP-Saal, auf Demonstrationen, in der Lackierstube, aber auch in der Gesundheitsprävention in Form von Pesthauben. Neu oder auffällig scheint allerdings die Fluidität der Maskenbedeutungen wie auch deren Gebrauch. Im gesellschaftlichen Alltagsgeschäft kommunikativer Bedeutungskonstitution findet die Maske verschiedenste Einsatzfelder.

„M to the A to the S to the K. Put the mask upon the face just to make the next day”

Erstens stehen Corona-Masken für etwas (anderes): Sie sind Verweise auf Schutzmaßnahmen, gelten als Versicherung der Einhaltung von Hygienestandards nach innen wie außen. Richtige Masken zeigen aber auch richtiges politisches Handeln an: Die Ausstattung mit bestimmten Maskentypen ist Indikator gelungenen, ja siegreichen Krisenmanagements inmitten wütender „mask wars“.Mehr noch, Masken sind eine hoch moralische Angelegenheit: Sie sind Hinweis auf eine politische Selbst- und Fremdpositionierung. Wer eine Maske trägt, zeigt Haltung als kollektivbewusste*r, moralisch integere*r Bürger*in, als Teil einer Solidargemeinschaft mit (selbstgenähten) Community-Masken.Wer die Maske hingegen verweigert, mag nichts zu verbergen haben, aber rückt ins dünkelhafte Zwielicht unsozialen Verhaltens; nicht-legalen Agierens gar.Denn Maskentragen ist keine individuelle Angelegenheit, sondern ein soziales Geschehen, welches das Artefakt selbst übersteigt und in diesem kommunikativen Akt des Anzeigens und Zurechnens zugleich die Fragilität unseres Zusammenlebens offenbart.

Dabei verändert sich auch die politische Deutung von Masken im Fortgang der Pandemie. Wurde die Bedeckung von Mund und Nase anfangs noch als Empfehlung artikuliert, ist sie inzwischen an vielen Stellen zur Pflicht, an noch viel mehr zur üblichen Praxis geworden.Eine schleichende Veränderung, die sich auch auf semantischer wie materieller Ebene ablesen lässt. In einem Video der Bundesregierung vom 28.4.2020 zum korrekten Maskengebrauch heißt es, „man [schalte] einfach eine mechanische Barriere dazwischen […]. Das heißt, dass man die Nase und den Mund bedeckt. Und das kann durch einen Schal oder ein Tuch passieren.“ Derartige Verhüllungs-Nonchalance ist nach der ‚zweiten Welle‘ nicht mehr denkbar. Die Schals, wie auch die bunten Alltagsmasken, die inzwischen korrekt „Mund-Nasen-Bedeckung“ heißen, haben „medizinischen Gesichtsmasken“ und „partikelfiltrierenden Halbmasken“ (FFP-2, FFP-3) Platz gemacht. Je weiter das pandemische Geschehen fortschreitet, desto funktionaler scheinen die Begriffe wie auch die Artefakte selbst zu werden.

„I walk the streets and camouflage my identity”

Zweitens geht mit dem Wandel der Maskentypen auch eine funktionale Veränderung einher. Masken sind zu Pandemiebeginn rasch als Mittel der Selbstdarstellung populär geworden. Vor allem Alltagsmasken ließen sich einfach verändern. Lokale Zugehörigkeiten (wir denken an Markus Söders Bayernmaske und Armin Laschets grün-weiß-rote Antwort), der Lieblingsfußballverein, modische und politische Statements oder ironische Kommentare zur Maskentragepraxis selbst wurden im Gesicht zur Schau getragen. Das Gesicht war damit „Signaltafel“ (Elias), Display par excellence. Eine große Aufmerksamkeit kam den politischen Akteur*innen zu, deren Maskenvorlieben genau beobachtet wurden: Emanuel Macron etwa soll bei erhabenen Anlässen eher eine Maske in Dunkelblau oder Schwarz, mit aufgestickter Trikolore tragen, während im Präsidentenalltag weiße Masken dominieren. Derart materialisierte Identitätsarbeit mit der Maske ist seit der Verbreitung von FFP-2- oder OP-Masken stark zurückgegangen. Aktuelles Maskentragen wird vermeintlich egalitärer; ein Umstand, der von der gegenwärtigen Konsumgesellschaft erst überraschend langsam eingeholt wird. Das Zusammenspiel von Identität und Maske allerdings verschwindet durch das Heer gleichförmiger Maskierungen nicht. Einerseits ist das Masken-Tragen nicht allen Personen gleichermaßen möglich (aus finanziellen, gesundheitlichen, weltanschaulichen Gründen), auch bietet das Körper-Display vielfältige weitere Singularisierungsoptionen. Andererseits verschiebt die Ent-Differenzierung in der Maskengestaltung die Selbstpositionierung im öffentlichen Alltag wieder stärker hin zu einer Kollektivität. Die gleichförmige Maskierung deutet es an: Wir sind alle gleichermaßen bedroht und als Teil eines biopolitischen Kollektivs angehalten, uns zu schützen.

„Yeah everybody wear da mask but how long will it last”

Drittens sind Masken als aktive Ressourcen in der Kommunikation von Bedeutung. Sie verbergen etwas vom Gegenüber, verstellen den Blick und bringen zugleich etwas hervor. Masken verhindern den Blick auf Mund und Nase, betonen dabei aber etwa die kommunikative Relevanz der Augen oder anderer Körperteile. Dabei sind Masken (auch in Corona-Zeiten) immer Teil eines sozialen Verhältnisses. Sie sind eine „two-way-street“, wie uns das US-amerikanische „Center for Disease Control and Prevention“ erinnertund damit Teil eines dynamischen Steuerungsgeschehens. Eigene Alltagsempirie macht deutlich, dass die Stimme schwächer durch die Maske klingt als sonst. Auch das sprechbegleitende Lippenlesen entfällt. Ebenso sind Mittel der Mimik weniger ausgeprägt – ein Grund, warum etwa in der Demenz- und Altenpflege dafür plädiert wurde, durchsichtige Masken einzusetzen. Das interaktive Geschehen bedarf demnach anderer Koordinationsmechanismen. Etwa erlangen Gesten erhöhte Aufmerksamkeit, aber auch begleitende sprachliche Verweise auf Ironisches, anders Gemeintes finden Verwendung. Zugleich erhöhen Hörer*innen wie Sprecher*innen ihre Sensibilität für die Mikrobewegungen der Gegenüber. Was das Gesicht nicht sagen kann, erlauben eventuell die Hände.

In diesem Zusammenhang lässt sich ein eigentümlich zwiespältiger Umgang mit Masken beobachten: Während die einen versuchen, gesten- und lautstärkenreich das Fehlen gewohnter Koordinations- und Kooperationsmodi auszugleichen, legen andere eine zwischen Phlegma und Höflichkeit schwankende Gleichgültigkeit an den Tag. Was von Georg Simmel als Reserviertheit des Großstädters beschrieben wurde, lässt sich vielerorts offenbar als kommunikatives Grundengagement im Maskenalltag deuten. Personen zeigen keine ausgeprägte Aktivität und verharren vermeintlich gesichts-ausdruckslos hinter ihrer Maske. Zwar werden die Corona-Masken damit noch nicht zu „involvement shields“ (Goffman), wie etwa die Tageszeitung in der Öffentlichkeit, mithilfe derer sich Akteure der Kommunikationssituation entziehen können, aber sie scheinen zu helfen, die jeweiligen Motive geheim zu halten. Erst recht die ent-individualisierten medizinischen Masken reduzieren Personen auf ihre Interaktionsrollen und blenden durch das verdeckte Gesicht zu Teilen Anzeichen für abweichende Motivzuschreibungen aus.

Dieses Verdecken, Nicht-zurechnen-Können, Geheimhalten ist eine Grundfunktion von Masken, bei gleichzeitiger Zurschaustellung und Überbetonung spezifischer Bedeutungen. Es weist damit auf eine Situation hin, die uns im kommunikativen Alltag immer wieder begegnet – den alltäglichen Verrätselungsprozess, was denn die Gegenüber bewegen mag. Dieses Missverstehen ist Verhinderer wie Motor kommunikativen Austauschs und im raschen Wandel der Maskierungen proportional dynamisch zum Pandemiegeschehen.

References

  1. Die englischsprachigen Überschriften sind dem Songtext „The Mask“ (1996) der Band „The Fugees“ entnommen und spielen auf eine kulturelle Form politischer Alltagsmaskierung an.
  2. https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Medizinprodukte/DE/schutzmasken.html
  3. https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/kieler-arbeitspapiere/mask-wars-chinas-exports-of-medical-goods-in-times-of-covid-19-0/
  4. Collins, Randall (2020): Social distancing as a critical test of the micro-sociology of solidarity. American Journal of Cultural Sociology 8477–497. https://doi.org/10.1057/s41290-020-00120-z
  5. Vgl. den Beitrag von Marion Müller im KWI-Blog.
  6. https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/masken-1844366
  7. https://www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/prevent-getting-sick/masks-protect-you-and-me.html

SUGGESTED CITATION: Krämer, Hannes: Maskenkommunikation, in: KWI-BLOG, [https://blog.kulturwissenschaften.de/maskenkommunikation/], 29.03.2021

DOI: https://doi.org/10.37189/kwi-blog/20210329-0830

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