Anerkennung und Wertschätzung im Wissenschaftsbetrieb
„Die Organisation dankt es Dir nicht!“ wird mir häufig gesagt und: Bitte keine „Dankbarkeit erwarten! Wir sind nicht im Feudalsystem“ habe ich bei Astrid Kaiser1 in den „Bloß nicht“ ihres Reiseführers für die Uni-Karriere. Zwischen Schlangengrube und Wissenschaftsoase gelesen. Aber ich liebe meine Arbeit und das, was ich tue – „Traumjob Wissenschaft“2; es ist doch eine ehrenwerte Tätigkeit… Und schon sind wir mitten in den Paradoxien, die mein Handeln in meinem Job als Wissenschaftler*in bedingen. Was sind Paradoxien im beruflichen Handeln? In Professionstheorien, die den Kern professioneller Handlungslogik fokussieren, wird zwischen Widerspruchskonstellationen und professionellen Antinomien unterschieden. Widerspruchs-konstellationen sind prinzipiell auflös- und transformierbar. Konstitutive professionelle Antinomien sind in gesellschaftliche und organisationsförmige Widerspruchskonstellationen eingebettet; sie sind nicht aufhebbar, mit ihnen kann nur reflexiv umgegangen werden. Sind die Antinomien intensiv in die Widerspruchskonstellationen verstrickt, kommt es zu Paradoxien im professionellen Handeln, also zu Schwierigkeiten und Dilemmata im Arbeitsablauf, die zwar bearbeitet werden können, jedoch nicht nach dem Modell kalkulierten zweckrationalen Planens und Implementierens3.
Wissenschaft als Beruf4, eine hoch sinnstiftende und selbstwirksame Tätigkeit, gekennzeichnet durch Selbstverwirklichung und hohe Identifikation mit dem eigenen Tun, steht einer zunehmenden Verwertungs- und Verwendungslogik des Wissenschaftsbetriebes gegenüber. Forschung und Lehre sind damit nicht mehr selbstreferentiell, sondern erfolgen in ökonomischer Logik. Impact heißt das Zauberwort, worin sich verbirgt, Leistungen und Kompetenzen in Zahlen zu überführen, um für Rankings jeglicher Art funktionalisiert zu werden. Was dabei immer mehr außer Acht gelassen wird, ist der Umstand, dass diese Strategie eben nicht auf die (meisten) sozialen und geistigen Phänomene übertrag- und anwendbar ist. Steffen Mau nennt das die Quantifizierung des Sozialen5. Andere übersetzen es als Spielregeln des Wissenschaftsbetriebes. Diesen Kampf um Reputation im wissenschaftlichen Feld hat Pierre Bourdieu6 schon 1979 in seinem Entwurf einer Theorie der Praxis thematisiert und in seinem Werk zum Homo Academicus (1992) spezifiziert, indem er die Spielregeln des Feldes analysiert. Aber was, wenn die Spielregeln unfair, unpassend und nicht sozial sind?
Ergebnis einer aktuellen Untersuchung7 aus der Hochschulforschung ist, dass einer steigenden Unzufriedenheit mit den Arbeits- und Vertragsbedingungen unter den Mitarbeitenden im Wissenschaftsbetrieb – und hier wird explizit die hohe Arbeitsbelastung benannt – eine hohe Leistungsbereitschaft und der ausgesprochene Wunsch eines Berufes oder einer Karriere in der Wissenschaft gegenübersteht. Ich erkenne mich wieder. Mir kommen sofort Gedanken wie: Die Anzahl der Studierenden ist seit den 60er Jahren stetig gestiegen, die der Lehrenden jedoch nicht8. Bei dem Wort Drittmittelakquise bekomme ich Zustände. Die so genannte akademische Selbstverwaltung – von deren Idee ich absolut überzeugt bin und die zweifelsohne wichtig und notwendig für die Aufrechterhaltung des Wissenschaftsbetriebes an den Hochschulen ist – wird jedoch zumeist zweckentfremdet ausgelegt und mündet in rein administrativen Tätigkeiten9. Zunehmender Publikationsdruck wird von der Entwicklung begleitet, dass es mittlerweile mehr Autor*innen als Lesende gibt; und schließlich sei die permanente Prekarität der Arbeitsverhältnisse von Wissenschaftler*innen jenseits unbefristeter Professuren genannt – „Lehrstuhl oder Sozialhilfe?“, wie es Arno Bammé10 in seiner 3. Diagnose des Wissenschaftsbetriebes nennt. Wer sich in den Flaschenhals wagt, schlägt einen langen, hürdenreichen Weg ein, der nicht selten schicksalhafte biographische Verstrickungen zur Folge hat. Hier gibt es mittlerweile belletristische Aufarbeitungen, wie den Roman „Die Hoffnungsvollen“ von Anna Sperk11. Was aber bedeutet diese Prekarität für die Anerkennungsverhältnisse im Wissenschaftsbetrieb? Richard Sennett12 hätte es in seinem Werk Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus nicht treffender fragen können: „Wie aber können langfristige Ziele verfolgt werden, wenn man im Rahmen einer ganz auf das Kurzfristige ausgerichteten Ökonomie lebt?“ und weiter: „Wie können Loyalitäten und Verpflichtungen in Institutionen aufrechterhalten werden, die ständig zerbrechen oder immer wieder umstrukturiert werden?“
Eine mögliche Antwort aus anerkennungstheoretischer Perspektive: Die Anerkennungskategorie ist – mit den Worten von Krassimir Stojanov13 – eine „der zentralen Signaturen der Moderne“ und von besonderer Bedeutung. Sie wird verstanden als wechselseitige Verständigung, die auf gegenseitiger Wahrnehmung, Wertschätzung und Bestätigung basiert; als sozialer Prozess, „in dem sowohl die Entwicklung von Identität und gesellschaftlichem Bewusstseins als auch die gesellschaftliche Integration von Individuen entschieden wird“14 und in dem das Streben nach Anerkennung „als wesentliche Orientierung sozialen Handelns bzw. als Grundbedürfnis des Menschen“ betrachtet wird. Axel Honneth15 hat hierzu eine sozialphilosophische Betrachtung vorgelegt, die den Durchbruch zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsform als das Resultat einer Ausdifferenzierung von drei Anerkennungsformen beschreibt (Liebe, Recht und Wertschätzung). Jeder der drei Anerkennungsformen entspricht ein bestimmtes Selbstverhältnis der Person, die in ihrem Zusammenwirken die Ausbildung, Entwicklung und Entfaltung gelungener individueller und dialogisch (reziprok) anzueignender Autonomie ermöglichen und bedingen. Diesen Anerkennungsformen können laut Honneth entsprechende Missachtungsformen als negative Äquivalente angeführt werden, die eine Betrachtung der von ihm eingeführten Figur des Kampfes um Anerkennung möglich werden lassen. Anerkennung im Wissenschaftsbetrieb wird damit hoch bedeutsam für die je individuelle Handlungsfähigkeit. Die Ausdifferenzierung der Bedeutsamkeit kann zu Abhängigkeiten der Wissenschaftler*innen in Bezug auf ihre jeweilige Entscheidungs-, Verfügungs- und Definitionsmacht führen. Sobald es also zu Missachtungsformen kommt, z. B. durch Ausschluss, Benachteiligung, Entwertung oder Entrechtung, besteht kein ausgewogenes reziprokes Verhältnis von Anerkennung und die Handlungsspielräume der Wissenschaftler*innen werden beschnitten. Wird die Grundlage der Anerkennung in den gesellschaftlichen Strukturen einer Wertgemeinschaft – hier dem Wissenschaftsbetrieb – entzogen, wird den Subjekten die Möglichkeit genommen, ihren eigenen Fähigkeiten einen sozialen Wert beizumessen. In dieser anerkennungstheoretischen Deutung, die in einer bestimmten Weise diese Paradoxien akzentuiert, wird sichtbar, wie fatal asymmetrische, auf Abhängigkeiten und von Missachtungsformen durchzogene Beziehungskonstellationen für die Ausbildung von Anerkennungsstrukturen im Wissenschaftsbetrieb sind.
Wir könnten damit beginnen, Anerkennung und Wertschätzung in unserem Sprechen zum Ausdruck zu bringen. Neben der gendersensiblen Sprache ist das vor allem die Adressierung und Etikettierung von Wissenschaftler*innen jenseits unbefristeter Professuren als Nachwuchs. Mit dieser biologistischen und damit paradoxen Bezeichnung wird nämlich eine dauerhafte Infantilisierung von Erwachsenen vorgenommen, die in ihrer patriarchalen Beziehung von Macht und Abhängigkeit gekennzeichnet ist. Die Paradoxie ist offenkundig: Erwachsene werden als Kinder bezeichnet, jedoch wird im Wissenschaftsbetrieb von ihnen die Leistung Erwachsener erwartet, dies betrifft Wissenschaftler*innen mit vielen Jahren Lehr- und Forschungserfahrung jenseits der 40 und mitunter mit eigenen Kindern. Mit Sprache erfassen wir die Welt, mit ihren Begriffen wird Welt strukturiert; – Sprache als Strukturierung der Wirklichkeit dient damit einerseits als Form der Identifizierung, verdeckt und verunmöglicht andererseits aber auch bestimmte Realitäten. Die Bezeichnung als Wissenschaftler*innen16 wäre ein folgerichtiger Schritt.
References
- Kaiser, Astrid (2015): Reiseführer für die Unikarriere. Zwischen Schlangengrube und Wissenschaftsoase. Utb. Opladen & Toronto: Budrich, 193.
- Titel der von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) initiierten Kampagne „Traumjob Wissenschaft?!“ https://www.gew.de/wissenschaft/traumjob-wissenschaft/
- Schütze, F. (2000): Schwierigkeiten bei der Arbeit und Paradoxien des professionellen Handelns. Ein grundlagentheoretischer Aufriß. In: Zeitschrift für qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung 1 (2000), 1; 49-96.
- Mit latentem Hinweis auf den auf einem Vortrag basierenden Aufsatz von Max Weber (1919): Wissenschaft als Beruf. In: Kaesler, Dirk (Hrsg.): Max Weber Schriften. 1894 – 1922. Stuttgart: Kröner; 474-511.
- Mau, Steffen (2015): Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen. Berlin: suhrkamp.
- Bourdieu, Pierre (1979): „Entwurf einer Theorie der Praxis“. Frankfurt am Main: suhrkamp. Ebd.(1992): „homo academicus“. Frankfurt am Main: suhrkamp.
- https://www.researchgate.net/publication/343179798_Organisierte_metrifizierte_und_exzellente_Wissenschaftlerinnen_Veranderungen_der_Arbeits-_und_Beschaftigungsbedingungen_an_Fachhochschulen_und_Universitaten_von_1992_uber_2007_bis_2018
- Arno Bammé (2015: 11) zu diesem Befund: „Jahrzehntelang sind die Hochschulen mit Überlastquoten gefahren – und haben funktioniert. Ich möchte den Industrie- oder Handelsbetrieb sehen, der unter vergleichbaren Bedingungen auf Dauer nicht zusammengebrochen wäre“.
- In einer meiner wissenschaftlichen Etappen wurde von einem Wissenschaftler für ein Jahr das Sekretariat abgedeckt (zusätzlich versteht sich).
- Bammé, Arno (2015): „Science Wars. Von der akademischen zur postakademischen Wissenschaft“. Marburg: Metropolis, S. 49
- Sperk, Anna (2017): Die Hoffnungsvollen. Halle: mdv.
- Sennett, Richard (2000): Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin: Goldmann, 11f.
- Stojanov, Krassimir (2006): Bildung und Anerkennung. Soziale Voraussetzungen von Selbst-Entwicklung und Welt-Erschließung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 100
- Nothdurft, Werner (2007): Anerkennung. In: Straub, J./Weidemann, A./Weidemann, D. (Hrsg.): Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz. Grundbegriffe – Theorien – Anwendungsfelder. Stuttgart/Weimar: Metzler; 110-122, hier: 110.
- Honneth, Axel (2003): Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt am Main: suhrkamp. Kurzbeschreibung der drei Anerkennungsformen: 1. Liebe, als Achtung der unantastbaren Integrität und Grundlage für Selbständigkeit, 2. Recht, als Würdigung als Vernunftperson mit moralischen Kapazitäten und Grundlage für Selbstachtung, 3. soziale Wertschätzung als Anerkennung besonderer, sozial wertvoller Eigenschaften und Fähigkeiten und Grundlage für Selbstwertgefühl.
- Jutta Allmendinger und Martin Mann (2019): RESPEKTIERT DEN NACHWUCHS! Wir müssen junge Forscherinnen und Forscher besser behandeln – fünf Forderungen. Ihr Schlusssatz: „Schließlich gibt es noch eine Maßnahme, die Promovierenden jene Wertschätzung zukommen lässt, die sie verdienen: sie beim Namen zu nennen und als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu bezeichnen. Der Begriff ‚Nachwuchs’ kann dann emeritiert werden“. https://www.zeit.de/2019/37/forschung-nachwuchs-foerderung-bildung
SUGGESTED CITATION: Kondratjuk, Maria: Anerkennung und Wertschätzung im Wissenschaftsbetrieb. Paradoxien im (Alb-)Traumjob Wissenschaft, in: KWI-BLOG, [https://blog.kulturwissenschaften.de/traumjob-wissenschaft/], 22.10.2020