Jörg ProbstSozialfiguren der Corona-Pandemie

Zwischen Invasor und unsichtbarem Gegner

Zwischen Invasor und unsichtbarem Gegner Corona als politische Ikonographie Erschienen in: Sozialfiguren der Corona-Pandemie Von: Jörg Probst

Die Krise als Krieg?

Als Cover-Motiv seiner Programmbroschüre hat ein bedeutender deutscher Wissenschaftsverlag im Sommer 2020 eine spektakuläre Zeichnung gewählt (Abb.1). Das anspielungsreiche, von Olga Trenkenschu gestaltete Cartoon zur Corona-Krise ist eine bildliche, symbolische Verdichtung der besonderen politischen Herausforderungen, ja eines spezifischen Freund-Feind-Denkens in der Pandemie.Rechts unten im Bild hat sich die Welt in Gestalt ihrer politischen Anführer versammelt, um die neu heraufgezogene Gefahr buchstäblich in Augenschein zu nehmen. Obwohl alle der gezeigten Persönlichkeiten sich – bis auf den abgewandt abseitsstehenden und durch seine Ignoranz selbst zur globalpolitischen Bedrohung gewordenen ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump – im direkten und übertragenen Sinn der Betrachtung der Lage widmen und daher auf dem Bild im verlorenen Profil zu sehen sind, können die Dargestellten doch sehr leicht identifiziert werden. Die Figürchen mögen verniedlichend erscheinen, doch auf dem winzigen Planeten Erde stehend, wirken sie wie Riesen, ähnlich wie der „Kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupery, dessen Zeichnungen die Graphik wohl angeregt haben.

Abbildung 1: Umschlagabbildung zu Verlagskatalog, Zeichnung von Olga Trenkenschu, o. T. (Corona), Copyright: Nomos-Verlag Baden-Baden, 2020.

Vor allem die etwas beleibte weibliche Person im Vordergrund in dem roten Blazer und den charakteristisch vor dem Bauch gefalteten Händen ist unschwer als überzeichnetes Abbild von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu erkennen. Rechts neben ihr gibt sich der britische Premier Boris Johnson durch seine ikonisch gewordene verwirbelte Nicht-Frisur zu erkennen, weiter rechts die beinahe knabenhafte Erscheinung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Als würde dieses Cover Lösungen für das Problem, über das politisch zu entscheiden ist, zugleich schon vermitteln und dafür werben wollen, sind alle Amtsträger mit Atemschutz-Masken dargestellt. In diesem Punkt reiht sich, vorne im Bild, auch der sich etwas im Hintergrund haltende Xi Jinping in die Weltpolitik ein. Mit einem winzigen Detail – den im Rücken überkreuzten Fingern – ist die bei der unabhängigen Aufklärung der Covid-Seuche mit internationalen Partnern noch bis vor wenigen Wochen eher zurückhaltende chinesische Partei- und Staatsführung dann doch von der Graphikerin als wenig vertrauensvoll annotiert worden.

Noch mehr Aufmerksamkeit verdient die Art und Weise, in der das Corona-Virus selbst in dieser Graphik zur Darstellung gebracht worden ist. Visualisierungen des Covid-Erregers, eine igelartige Kugel mit vielen kleinen Tentakeln, sind seit Anfang des Jahres 2020 in sehr vielen Varianten täglich in den Printmedien, im Fernsehen und in den sozialen Medien zu sehen. Eine Überfülle an Vergleichsmaterialien steht bereit, um Aussagen über die Ikonographie von Corona als visuelle Kommunikation in der Pandemie über die Pandemie zu treffen.

Diese Bildlichkeit dokumentiert auch das mit Corona verbundene symbolische Denken. Die Ikonographie von Corona lässt sich hierbei in drei Klassen oder Bilderkreise gliedern. In sehr vielen Fällen sind Visualisierungen von Corona ein Versuch, die medizinische Gefahr der Erkrankung 1.) direkt als Naturkatastrophe zu symbolisieren. In anderen Fällen nimmt diese Ikonographie auch die Gefahren in den Blick, die von den notwendigen Maßnahmen im Kampf gegen Corona und daher 2.) indirekt von dieser Naturkatastrophe ausgehen (also etwa die Einschränkungen des sozialen Lebens wie das Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen, hier kommen z. B. auch cartoonartige Darstellungen des Covid-Erregers mit Gesicht und Maske vor). Einen dritten, mit dem hier in Rede stehenden Cartoon vor allem zu verbindenden Bilderkreis bildet die explizite politische Ikonographie der Corona-Krise, d. h. Symbolisierungen von Corona nicht als medizinische Gefahr oder als Naturkatastrophe, sondern als politische Bedrohung. Die Bekämpfung von Corona war und ist immer auch von Kriegs-Rhetorik begleitet.So schildern Pflegekräfte und Ärzt*innen in den Heimen und Krankenhäusern ihre Situation oft als Agieren in „vorderster Front“. Vor allem in solchen Bildern, die das Virus als Freund-Feind-Verhältnis darstellen, ist die Ikonographie der Corona-Krise eine politische Ikonographie. Besonders zu warnen ist dabei vor Mystifizierungen mit Anklängen an frühere Mythen und Legenden von historischen Invasionen und vermeintlichen Unterwanderungen – also eine Übersteigerung der Seuche als mythischer politischer Angriff, d. h. der „Krise als Krieg“.3

Grüne Gefahr

In das hier näher zu betrachtende Beispiel für Corona als politische Ikonographie sind zwei der auffälligsten bildlichen Politisierungen des Virus eingeflossen – 1.) die Darstellung des Virus als Schwarm und 2.) die besondere Farbigkeit des Erregers. Dabei spielen im Fall des Cartoons für das Verlagsprogramm gewiss auch Überlegungen darüber eine Rolle, bei einer möglichst öffentlichkeitswirksamen und allgemeinverständlichen Darstellung für einen Werbeprospekt jene Bildlichkeit zu wählen, in der das Virus den meisten bekannt sein dürfte. Aus dieser Sicht dokumentiert die Grafik auch eine wichtige Etappe des Rückblicks auf eine im Laufe der „ersten Welle“ der Corona-Krise sich dafür erst nach und nach herausbildenden Bildsprache. So deutet einiges darauf hin, dass in dem Cartoon das Virus auch deshalb nicht in Gelb, Rot oder Blau, sondern in Grün dargestellt ist, weil sich im Laufe des Jahres 2020 Grün als der bevorzugte Farbton in der Visualisierung des Covid-Erregers erwiesen hatte. Aussagen darüber lassen Big Data-Recherchen zu, die Studierende der Philipps-Universität Marburg im Sommer 2020 bei „Portal Ideengeschichte“ im Forschungsprojekt „Politische Ikonologie“ erstellten. Das von Johanna Reidt betreute Data-Mining in Form eines „Colour Counters“ ermöglichte die Feststellung, dass nicht die klassischen Warnfarben Rot oder Gelb, sondern die in der Palette der Warnhinweise und Signalfarben eher positiv als Symbol der Sicherheit konnotierte Farbe Grün die am häufigsten verwendete Farbe bei Visualisierungen von Corona-Erregern ist.

Abbildung 2: Corona-Warnschild, Symbolbild. Quelle: https://pixabay.com/de/illustrations/virus-verbot-piktogramm-schild-4810549/

Diese Beobachtung ist auch deshalb bedeutsam, weil es für die Warnung vor Seuchen und Epidemien bereits eine internationale bildliche Codierung gibt. Diese Signale und Symbole in Schwarz-Gelb aber haben in der populären Verbildlichung von Corona nur sehr geringe Resonanz gefunden. Ebenso wenig Verbreitung fand die Warn- und Signalfarbe Rot. Nur das „giftige“ Grün scheint jene Emotionen und Ängste zu spiegeln, die trotz der so genannten „Pandemie-Müdigkeit“ auch in der „zweiten Welle“ der Corona-Seuche unvermindert anhaften. Es ist daher alles andere als Zufall und auch keine nur äußerliche ästhetische Entscheidung, dass auch auf dem Cartoon auf dem Umschlag eines Verlagsprogramms mit den weltbedrohenden Corona-Erregern alles „im grünen Bereich“ ist.

Auch die Darstellung der Corona-Erreger als Schwarm ist eine nachträgliche, in den eigentlichen wissenschaftlichen Darstellungen so nicht zu findende symbolische Zutat. Der Unterschied zu den populären animierten Visualisierungen des Virus besteht schon darin, dass wissenschaftliche Abbildungen den Erreger nicht in Bewegung darstellen. Unter dem Mikroskop, das zeigt die auf der Website des Robert-Koch-Instituts verbreitete Aufnahme, ist das Virus ruhend und dabei flach und in einer Art Querschnitt zu sehen. Auch die Farbe wurde hier nachträglich durch eine verdeutlichende Kolorierung hinzugefügt. Nicht nur der Farbton ist eine gestalterische und daher zu interpretierende Entscheidung. Ebenso nachträglich gestaltend und als solche symbolisch zu deuten ist die Körperhaftigkeit der Erreger als dreidimensionale Kugeln und deren Animation als „fliegende Objekte“ wie auf dem Cartoon des Verlagsprogramms. Das Covid-Virus wird hier im Moment des Verströmens und Ausschwärmens gezeigt, wie es sich beim Aus- und Einatmen als Partikel der Atemluft verbreitet. Dieser Vorgang wird in der Aerosolforschung wissenschaftlich visualisiert, allerdings in Gestalt von Nebelwolken und nicht in der Form eines Schwarms von mikroskopisch kleinen Erregern in Nahsicht.

In Darstellungen des Corona-Virus als „Stachel-Kugeln“ in grüner Farbe beim Fliegen in Schwärmen verbinden sich also verschiedene Visualisierungsstrategien: Zum einen die zur Wissenschaft konträren, emotionalen bildlichen Dramatisierungen (durch das „giftige“ Grün und die zumeist aggressiv wirkenden Tentakel, die Ansteckungen auslösenden so genannten „Spike-Proteine“), zum anderen jene auch für die Wissenschaft unverzichtbaren Bilder zur Verifizierung von Erkenntnissen, die nur durch Bilder nachvollziehbar werden (also die mit dem bloßen Augen nicht erkennbare Verteilung des Erregers durch die Atemluft). Gerade wegen dieser diffusen allgegenwärtigen Gefährdung durch eine Seuche als eines „unsichtbaren Gegners“ haben Bilder – und hier vor allem animierte Bilder – eine besondere Bedeutung in der Corona-Krise entfaltet. Anders als bei Naturkatastrophen wie einem Erdbeben oder einem Tsunami gibt es bei der Corona-Pandemie kein dokumentarisches Bild, das auch nur annähernd so häufig gebraucht würde und das zu den mit der Pandemie verbundenen Ängsten und Emotionen auch nur annähernd so gut passte wie eine Animation.

Abbildung 3: Corona-Schwarm, grün, Symbolbild. Quelle: https://pixabay.com/de/illustrations/coronavirus-corona-virus-covid-19-4833754/

In das Cover-Cartoon zu einem Verlagsprogramm von 2020 ist diese Ikonographie des Corona-Virus eingegangen. Sie wird dabei zu einer explizit politischen Ikonographie überhöht durch den hier symbolisierten Angriff nicht auf einen einzelnen Menschen oder gar auf die politischen Persönlichkeiten im Vordergrund, sondern auf die ganze Welt als Wirt.

Angriff der Corona-Krieger?

Launig und hintergründig in seiner Gestaltung, ist das hier näher betrachtete Cartoon gewiss kein Grund, vor der politischen Ikonographie der Corona-Pandemie zu warnen. Fast scheint es sogar, als würde die Zeichnung in ihrer Vielschichtigkeit auch eher ein Helfer gegen diese bildlich erzeugten Verwerfungen sein, die durch politische oder politisierte Darstellungen des Corona-Virus im Umlauf und damit hinderlich sind bei der solidarischen Bewältigung der Pandemie als Naturkatastrophe. Als politische Bedrohung inszeniert, verliert Corona seine Bedeutung als Gefahr für alle und verführt zu einer verschwörungsideologischen Verzerrung der Pandemie als einem kriegerischen Angriff, d. h. die Projektion von Freund-Feind-Schemata auf eine nicht bloß machtpolitische, sondern wahrhaftig existenzielle, Leib und Leben gefährdende Herausforderung.

Aus dieser Sicht eröffnet das Cartoon dadurch eine weitere Bedeutungsdimension, dass es Corona-Erreger als grünen Schwarm und dabei explizit als Angriff auf die Welt darstellt. Auch wenn in dieser Grafik die Farbe Grün matt gehalten ist und ihr die gleißende Wirkung eines neonfarbigen synthetischen Eigenlichts fehlt, spielt das mystische Glimmen und Leuchten bei vielen Covid-Animationen eine wichtige, bildprägende Rolle. Damit suchen diese Covid-Animationen die optische Nähe zu Cyber-Viren, also ebenso „unsichtbaren Gegner“, die als Codes in Quelltexten über schwarze Bildschirme flimmern und die in dieser Form durch den Thriller „Matrix“ von 1999 mit Keanu Reaves als Hacker Neo in der Hauptrolle eine ebenso phantasievolle wie nachhaltige, ikonisch gewordene Prägung erfahren haben. Diese cineastischen Bezüge sind in dem Cartoon als symbolische politische Übersteigerung einer populärwissenschaftlichen Animation karikierend noch weitergetrieben. Hier ist das grünliche Virus als feindlicher Planet oder unbekanntes extraterrestrisches Flugobjekt inkorporiert worden. Als unheilvolle feindliche Flotte aus einer Galaxie „weit, weit entfernt von hier“ haben sich die Erreger wie Todessterne vor der Erde positioniert. Auf diese Weise ist die Zeichnung eine bildgeschichtlich besonders hintergründige Darstellung der Pandemie als globale Bedrohung.

Ikonographisch eine ungewöhnliche, kommentarwürdige Mischung aus „Der Kleine Prinz“ und „Star Wars“, lädt diese Zeichnung auch zu Betrachtungen darüber ein, welche tiefergehenden, bildtheoretischen Fragen sich mit der Verkörperung von „unsichtbaren Gegnern“ wie einem mikroskopisch kleinen Virus durch bereits bekannte „Feindbilder“ für die politische Ikonologie ergeben. Das Entscheidende daran ist wohl, dass Corona kein wiederkehrender, bereits bekannter Feind ist – zu sehr sticht diese Krankheit von bildgeschichtlich bereits konnotierten medizinischen Gefahren wie der Pest oder der Cholera ab. Zudem ist die Grippe – mit der Corona seiner grippeähnlichen Symptome wegen noch immer verglichen wird – als bedrohliche tödliche Seuche so wenig anerkannt, dass auch von hier aus eine Bildsprache zur symbolischen Einhegung und Bändigung der mit Corona verbundenen Ängste und Emotionen nicht zu erwarten ist. Aus dieser Sicht ist die Überzeichnung von Corona durch Parallelen zum Horror- und Science-Fiction-Kino nicht lediglich eine Dämonisierung. Sie ist auch der Versuch einer Versicherheitlichung mit Blick auf eine Gefahr, die gerade wegen ihrer Unberechenbarkeit und Neuartigkeit so sehr in Panik und Unruhe versetzt. Die Verbildlichung oder Verkörperung von Corona als Feind mit Hilfe von bereits vertrauten Feindbildern kann hier wenigstens einen „sicheren Gegner“ suggerieren.

Zu warnen bleibt jedoch davor, durch diese politische Ikonographie von Corona die Krankheit als Angriff zu ideologisieren. Vor allem durch die visuelle Parallele zur Kino-Welt oder zur Ikonographie von Cyber-Viren tragen Corona-Visualisierungen dazu bei, die Pandemie in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer politischen, subversiven Bedrohung symbolisch zu verzerren. Wünschenswert sind Bilder, die sich primär der Symbolisierung von Corona als Naturkatastrophe zuwenden. Auf diese Weise wäre eine ähnliche Solidarisierung zu bewirken, wie das mit dem symbolischen Schulterschluss internationaler Politiker*innen auf dem hier besprochenen Cartoon zumindest optisch gelungen ist.

References

  1. Vgl. dazu exemplarisch Tim Falder, „Im Krieg gegen Corona? Kriegsrhetorik und ihre Kritik während der Corona-Krise in der britischen Tagespresse“, PI-Essay 10-2020, Portal Ideengeschichte (im Druck).
  2. So erklärte Emmanuel Macron in seiner TV-Ansprache zur Verhängung der Corona-bedingten ersten Ausgangssperre am Montag, den 16.März 2020: „Wir sind im Krieg. Der Feind ist da, unsichtbar – und er rückt vor.“ Vgl. https://www.tagesspiegel.de/politik/wir-befinden-uns-im-krieg-100-000-polizisten-kontrollieren-ausgangssperre-in-frankreich/25651234.html – letzter Zugriff: 26.Januar 2021.
  3. Johannes von Müller, Krieg und Krise. Ein fataler Vergleich, in: Hypothesis, https://bilderfahrzeuge.hypotheses.org/4953 – letzter Zugriff: 24.Januar 2021.

SUGGESTED CITATION: Probst, Jörg: Zwischen Invasor und unsichtbarem Gegner. Corona als politische Ikonographie, in: KWI-BLOG, [https://blog.kulturwissenschaften.de/zwischen-invasor-und-unsichtbarem-gegner/], 01.02.2021

DOI: https://doi.org/10.37189/kwi-blog/20210201-0830

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