Friedrich Balke5 Fragen an...

5 Fragen an Friedrich Balke

5 Fragen an Friedrich Balke Erschienen in: 5 Fragen an... Von: Friedrich Balke

In der Reihe „Carte Blanche. Forschung aus der Nachbarschaft“ begrüßen wir am 9. Juni Friedrich Balke (Ruhr Universität Bochum) mit einem Vortrag zu „Zirkulation und Zensur – Was uns der literarische Untergrund des 18. Jahrhunderts über die sozialmedialen Kommunikationsdynamiken der Gegenwart lehrt“.

Hanna Engelmeier (KWI) hat Friedrich Balke im Vorfeld dazu interviewt.


(1) Zensur ist insbesondere im Zusammenhang mit der Diskussion um sogenannte fake news wieder ins Zentrum der Diskussion um Medien gerückt. Dabei wird davon ausgegangen, dass „die Medien“ an sich Nachrichten zensieren würden, weil sie staatlich gelenkt seien. Welche Elemente von staatlicher Zensur, die im 18. Jahrhundert real stattfand, lassen sich heute tatsächlich aufweisen?

Bei allen Definitionsversuchen, die angestellt wurden, bleibt Zensur ein unbestimmter Begriff, dem eine gewisse Vagheit nicht auszutreiben ist. Man kann den Akt der Zensur so weit fassen, dass er jede Form der Selektion oder Edition umfasst und damit natürlich auch die Arbeit von Nachrichtenredaktionen trifft, die nun einmal aus dem Strom der angespülten Ereignisse auswählen, was wir zu sehen und zu lesen bekommen. Aufgrund der Staatsnähe öffentlicher Medien sind Akte staatlicher Einflussnahme auf die Arbeit von Redaktionen notorisch – aber ebenso die Aufdeckung und Berichterstattung darüber. Da im 18. Jahrhundert (noch) kein System institutionalisierter Nachrichtenproduktion existiert, das mit unseren Massenmedien vergleichbar wäre, können Nachrichten jenseits öffentlicher Bekanntmachungen nur im Untergrund zirkulieren. Ihre Verbreitung wird entsprechend mit polizeilichen Methoden bekämpft. Die polizeilichen Methoden wiederum basieren auf der Bereitschaft von Informierten, ihre Quellen zu verraten oder überhaupt Nachrichtenflüsse ‚anzuzeigen’. Die Polizei kann ohne die Mithilfe der Nutzer nichts ausrichten – wir nennen das heute im Kontext der Kommunikation auf digitalen Plattformen: user generated censorship.

(2) Zensur hat sich in der Literaturgeschichte als potente Agentur zur Entwicklung von Techniken und Schreibverfahren erwiesen, mit denen sie umgangen werden sollte. Bei aller Befürwortung freier Rede etc.: Wäre die Literaturgeschichte nicht ohne den Hemmschuh von Zensur vielleicht ärmer?

Diese These hat Leo Strauss (im impliziten Anschluss übrigens an Freuds Überlegungen zur Unterscheidung von repressiver und produktiver Zensur) in einem einflussreichen Aufsatz für die Philosophiegeschichte variiert. Er hat die „Kunst des Schreibens“ ganz direkt auf die Politik der Verfolgung kritischen Denkens bezogen.1 Verfolgung, so sein Argument, bringe eine eigentümliche Schreibtechnik hervor und einen eigentümlichen Typ von Literatur, bei der die Wahrheit über alles Wesentliche „ausschließlich zwischen den Zeilen angedeutet wird“. Diese Literatur richte sich dementsprechend nicht an alle Leser, sondern nur an die klugen. Wer riskiert, die Veröffentlichung einer bestimmten Wahrheit mit seinem Leben zu bezahlen, kann auf Publikation entweder ganz verzichten oder muss die Wahrheit in seinem Text verstecken oder umschreiben oder literarisch verfremden. Vom Extremfall der politischen Verfolgung unter illiberalen Bedingungen sind die für die Literaturgeschichte einschlägigeren Fälle zu unterscheiden, in denen sich die staatlichen Zensoren, wie im Frankreich des Spätabsolutismus, als Lektoren betätigen, die auf die Kooperation der Autoren rechnen (dürfen). Wenn Lektoren als die Autoren definiert werden, die nicht schreiben, dann lassen sich aus den Akten staatlicher Zensurbehörden, wie Robert Darnton gezeigt hat, ihre Spuren in den ihnen zur Prüfung vorgelegten Manuskripten entziffern.

(3) Eine besonders interessante Figur ist der Zensor, über ihn weiß man wenig. Welche Perspektive auf diese*n Akteur*in entwirfst du in deinem Vortrag?

Das Feld zensierender Akte umfasst die Entnahme inkriminierter Publikationen aus der Zirkulation, den regulierenden Eingriff in einen zur Veröffentlichung vorgesehen Text, die Nicht-Freigabe also das Verbot eines solchen Textes, der dann die Veröffentlichungsschwelle nicht überschreiten darf, die vorweggenommene Zensur der Zensierten (wie im amerikanischen Pre-Code-System, in dem Drehbücher und fertiggestellte Filme einer nicht-staatlichen Behörde vorgelegt werden mussten) und schließlich unter digitalen Bedingungen die Löschung inkriminierter Inhalte durch eigens dafür angestellte und schlechtbezahlte crowdworker, die das Netz ‚sauber halten’ sollen. Vergessen wir auch nicht die Versuche, den Zensurvorgang insgesamt soweit zu automatisieren, dass auf dem Wege des Abgleichs von Wortlisten oder durch pattern recognition anstößiges Material algorithmisch weggefiltert werden kann.

(4) Gibt es eigentlich Zensor*innen, die von ihrer Arbeit mit Stolz sprechen können? Dazu würde ja auch gehören, dass sie sich überhaupt öffentlich zu ihrer Arbeit äußern können. Das scheint aber nie der Fall zu sein: irgendwie traurig. 

Ja, beobachten kann man diesen Stolz der Zensoren z. B. in dem Dokumentarfilm „The Cleaners“ (D 2018; R: Hans Block, Moritz Riesewieck), der sich mit den zensierenden Aktivitäten von Facebook outgesourcter crowdworker in Manila beschäftigt. Das dort gezeigte Selbstbild und Selbstverständnis der Netzmüllwerker ist sehr differenziert: Um nicht, wie viele ihrer Altersgenossen, mit dem Durchsuchen von Realmüll auf Deponien Manilas ihren Lebensunterhalt verdienen zu müssen, erledigen sie diesen Job jetzt virtuell im Büro an Bildschirmen, wo sie problematisches Material in Sekundenschnelle aussortieren müssen. Ihr Selbstbild beschreiben Sie u. a. so: „Wir sind wie Polizisten. Es geht uns darum, die Plattform so gesund wie möglich zu machen. Sie schützen. So wie in der echten Welt.“ Die Cleaner sind sich ihrer gleichermaßen abgeleiteten wie souveränen Befugnisse durchaus bewusst und können einen gewissen politischen Stolz nicht verbergen: Sie entscheiden über Sein oder Nichtsein eines bestimmten Content.

(5) In der vergangenen Woche hat Twitter erstmals in seiner Geschichte einen Tweet von Donald Trump mit dem Verweis versehen, dass dieser falsche Sachverhalte verbreite. Trump reagierte daraufhin zusammengefasst so, dass er dem privaten Unternehmen unterstellte, ihn als Staatsoberhaupt zensieren zu wollen. Könntest Du diesen Vorgang in die Geschichte der Zensur einordnen?

Dieser Vorgang erinnert zum einen an die reiche Geschichte der Delegation zensierender Akte an private Institutionen. Die Zensur geht ja keinesfalls immer und direkt von staatlichen Behörden aus. Wie im Falle des Comstock Act im 19. Jahrhundert oder des Pre-Codes für die Filmproduktion im 20. Jahrhundert entstehen in den USA zivilgesellschaftliche Organisationen, die die Wahrung und Hebung der US-amerikanischen Moral zu ihrer Sache machten und vom Staat mit der Durchsetzung einer umfassenden moralischen Zensur (moral censorship) beauftragt wurden. Dass Twitter unverhohlene Aufrufe des amtierenden Präsidenten zum Einsatz von polizeilicher und inzwischen auch militärischer Gewalt zur Niederschlagung der Proteste nach der Ermordung von George Floyd durch Polizisten ‚markiert’, weil sie die moralischen Standards der Community (guidelines) verletzen, zensiert den entsprechenden Tweet des Präsidenten (zensieren heißt bekanntlich auch: eine Note geben), löscht ihn aber nicht. Trump missversteht vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Free-Speech-Gesetzgebung Plattformen gezielt als bloße Kanäle bzw. ‚neutrale’ Medien und ignoriert das Ausmaß von längst etablierter Content-Moderation, die auch an ihm nicht vorbeigeht. Die vielbeklagte höchst inkonsistente Praxis der Content-Moderation belegen die beiden Fälle der Twitter-Zensur des Präsidenten: Wieso gerät ausgerechnet eine Einlassung zu den Manipulationsmöglichkeiten der Briefwahl in den Fokus der Moderatoren, während viele andere Tweets, die unverhohlen zu Rassismus und organisierter Gewalt etwa gegen Migrant*innen aufgerufen hatten, unbeanstandet blieben?

 

References

  1. Leo Strauss: Verfolgung und die Kunst des Schreibens, in: ders., Alexandre Kojève, Friedrich Kittler (2009): Kunst des Schreibens, Berlin: Merve-Verlag.

SUGGESTED CITATION: 5 Fragen an Friedrich Balke, in: KWI-Blog, [https://blog.kulturwissenschaften.de/5-fragen-an-friedrich-balke/], 08.06.2020

DOI: https://doi.org/10.17185/kwi-blog/20200608-0900

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