Annika Domainko5 Fragen an...

Sachbücher schreiben: 5 Fragen an Annika Domainko

Sachbücher schreiben: 5 Fragen an Annika Domainko Erschienen in: 5 Fragen an... Von: Annika Domainko

In Ergänzung eines kleinen KWI-Workshops über Sachbücher aus wissenschaftlicher Feder im Januar diesen Jahres, haben wir im KWI-Blog vorgestern ein Interview mit Nina Sillem gebracht, Sachbuchagentin in Frankfurt am Main. Heute folgt die Fortsetzung mit Annika Domainko, Sachbuchlektorin im Carl Hanser Verlag, der wir ebenfalls per E-Mail fünf Fragen zu ihrer Arbeit geschickt haben. Beide agieren in Berufen, welche die Entstehung eines Buches nicht bloß passiv flankieren, sondern aktiv prägen – und mitunter auch anregen.

Ines Barner & Nina Verheyen

 

(1) Was macht – kurzgefasst – das Sachbuchlektorat eines großen Publikumsverlags aus, und worin besteht die Kernaufgabe Ihrer Tätigkeit? Wie sind Sie selbst zu diesem Beruf gekommen?

Sehr grob gesagt, ist es als Sachbuchlektor*innen unsere Aufgabe, die relevanten Themen und Diskussionen unserer Zeit zu verfolgen und als solche zu identifizieren – und dann gemeinsam mit Autor*innen, die über eine entsprechende Expertise verfügen, Bücher zu entwickeln, die diese originell aufgreifen und für ein breites Publikum aufbereiten.

Unsere Kernaufgabe besteht daher, wenig überraschend, in der Lektüre: von Exposés oder Manuskripten, die uns von Autor*innen direkt oder über Agenturen angeboten werden, von fremdsprachigen Manuskripten, die internationale Verlage zur Übersetzung anbieten – aber auch von Zeitungen, Zeitschriften, wissenschaftlichen Publikationen, Blogs, sozialen Medien und vielem mehr, was Inspiration für neue Themen liefert oder uns auch direkt auf neue Autor*innen stößt, denen wir eine Zusammenarbeit vorschlagen wollen.

Der zweite Schritt besteht dann darin, aus der Idee ein Buch zu machen: Gemeinsam mit den Autor*innen arbeiten wir am Konzept und am Manuskript. Und gemeinsam mit den anderen Abteilungen des Verlags – Presse, Vertrieb, Werbung, Lizenzen – entwickeln wir den passenden Gesamtauftritt für das Buch, damit es draußen in der Welt die bestmögliche und für das jeweilige Thema adäquate Aufmerksamkeit bekommt.

Ich bin selbst über eine Kombination aus Wissenschaft und Journalismus zum Sachbuch gekommen. Während meiner Promotion habe ich für Spektrum der Wissenschaft gearbeitet und dort die berühmte „Schnittstelle“ zwischen Fachdiskursen und breiter Öffentlichkeit kennengelernt. Diese Arbeit fand und finde ich nach wie vor unglaublich wichtig, weil es über alle Wissenschaftszweige hinweg Einsichten und Denkansätze gibt, die nicht nur für Expert*innen zugänglich sein sollten. Und da es zudem unzählige Debatten gibt, die mehr Raum brauchen als eine Zeitschrift zur Verfügung stellen kann, wollte ich in die Buchbranche – und bin so über Zwischenstationen bei Hanser gelandet.

(2) Was ist ein ‚Sachbuch‘, was macht Ihrer Meinung nach ein gutes Sachbuch aus? Woran erkennen Sie ein vielversprechendes Exposé/Manuskript?

Was ein Sachbuch ist, wird vielleicht durch den Kontrast zu dem, was es nicht ist, am deutlichsten: Anders als ein Fachbuch richtet es sich nicht an ein Expertenpublikum, sondern an eine interessierte, allgemein vorgebildete Leserschaft. Es darf analytisch argumentieren, aber auch erzählen – aber anders als ein Roman natürlich nur faktual, nicht fiktional.

Ein gutes Sachbuch ist in der Lage, uns die Welt mit anderen Augen sehen zu lassen, indem es neue Perspektiven bietet, vernachlässigte Themen erschließt, originelle Thesen aufstellt, oder uns hilft, Bekanntes in eine neue Sprache zu übersetzen.

Technischer ausgedrückt, verbindet ein gutes Sachbuch in meinen Augen drei Aspekte: Es behandelt ein relevantes Thema. Es findet dafür eine originelle Form und eine Erzählstrategie, die auch den Laien neugierig macht. Und es ist geschrieben von Autor*innen, die eine gewisse Autorität auf dem Feld für sich beanspruchen können.

Das sind auch – etwas holzschnittartig dargestellt – die Kriterien, anhand derer wir Exposés und Manuskripte bewerten. Und im Idealfall kommt zu den „harten“ Eckpunkten noch etwas hinzu: nämlich, dass Ton, Sprache, Dramaturgie einen bei der Lektüre spontan begeistern und neugierig auf mehr machen. Der „besondere Dreh“, der sich nicht in einen „Sachbuchalgorithmus“ packen lässt, aber maßgeblich daran beteiligt ist, dass ein Buch es schafft, uns die Dinge wirklich in neuem Licht sehen zu lassen.

(3) Wie intensiv arbeiten Sie mit Autor*innen an deren Buchideen und Texten – und wie konzeptionell umfassend oder redaktionell kleinteilig ist diese Arbeit?

Die Zusammenarbeit zwischen Lektor*in und Autor*in ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Grundsätzlich ist sie, wenn ich für meine direkten Kolleg*innen und mich sprechen darf, jedoch intensiv. Gerade die gemeinsame Verständigung über das Konzept und die inhaltlichen Schwerpunkte spielt zu Beginn eine wichtige Rolle. Ob die Arbeit am Text danach begleitend stattfindet, etwa mit detaillierten Rückmeldungen zu einzelnen Kapiteln, oder erst nach Abschluss des Manuskripts, hängt von der individuellen Arbeitsweise ab. In jedem Fall machen wir eine gründliche Redaktion, in der wir neben der Sprache auch auf die Struktur achten, gegebenenfalls Kürzungen vorschlagen oder einzelne Aspekte stärker in den Vordergrund ziehen. Wichtig ist uns, dass wir uns frühzeitig über die großen Linien verständigen – und dass wir während des gesamten Schreibprozesses als Ansprechpartner*innen zur Verfügung stehen.

(4) Hat sich Ihr Tätigkeitsfeld in den letzten Jahren verändert, und zwar vor allem auch mit Blick auf die Kooperation mit Wissenschaftler*innen?

Da ich eher der jüngeren Lektorengeneration angehöre, würde ich die Beschreibung konkreter Veränderungen im Alltagsgeschäft lieber den Kolleg*innen überlassen, die diese selbst mitgemacht haben. Aus meiner Sicht hat sich das Verhältnis von Publikumsverlagen und Wissenschaft nicht grundsätzlich verändert. Wir sehen, dass das Sachbuch seit einigen Jahren eine Blütezeit erlebt, die sich etwa auch darin zeigt, dass eine Institution wie der Deutsche Sachbuchpreis ins Leben gerufen wurde (auch wenn die erste Vergabe wegen der Corona-Epidemie auf 2021 verschoben wird). Diese wachsende Aufmerksamkeit fürs Sachbuch spricht in meinen Augen vor allem auch dafür, dass in der Zusammenarbeit von Publikumsverlagen und Wissenschaft viel richtig gemacht wurde und wird. Es gibt offenbar ein Bedürfnis nach Analysen, Erläuterungen und Erzählungen, die die schnelle Tagespresse um längerfristige Beobachtungen ergänzen. Und gerade hier spielen Wissenschaftler*innen verschiedener Fachrichtungen natürlich eine Schlüsselrolle – und als Publikumsverlag können wir ihnen eine größere Sichtbarkeit verschaffen und eine Bühne bieten, gesellschaftliche Debatten mitzubestimmen. Ohne ihren Anspruch an Umfang, Komplexität und Differenzierung aufgeben zu müssen.

(5) Gibt es Unterschiede zwischen Ihrer Arbeit mit wissenschaftlichen Autor*innen und derjenigen mit anderen Schreibenden und wenn ja, wie ließen sich diese Differenzen beschreiben?

Grundsätzliche Unterschiede gibt es aus meiner Sicht nicht. Es fällt jedoch auf, dass Autor*innen, die zwar einen Wissenschaftshintergrund haben, aber inzwischen vor allem publizistisch tätig sind, dem „populären Sachbuch“ mit weniger Berührungsängsten begegnen. Natürlich zählt für uns als Publikumsverlag ein anderer Relevanzbegriff als in einer akademischen Fachdebatte. Natürlich spitzen wir Themen und Thesen zu, und bemühen uns in der Redaktion um eine allgemeinverständliche Sprache. Dabei soll aber nie die notwendige Komplexität und Differenzierung verloren gehen. Die Autor*innen sind die Expert*innen für das Thema, wir sind die Expert*innen für das Publikum – in der Arbeit am Manuskript, am Titel, am Cover und an den Kurztexten geht es darum, aus beiden Expertisen das Bestmögliche zu machen. Von der Wissenschaft würde ich mir daher zum einen den Blick für das im breiten Sinne Relevante wünschen. Und wie von allen Autor*innen auch: das Vertrauen, dass wir vom ersten Wort bis zum letzten Punkt absolut im selben Boot sitzen.

SUGGESTED CITATION: Sachbücher schreiben: 5 Fragen an Annika Domainko, in: KWI-BLOG, [https://blog.kulturwissenschaften.de/sachbuch-annika-domainko/], 04.06.2020

DOI: https://doi.org/10.17185/kwi-blog/20200604-0900

Write a Reply or Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *