Johannes Maria KricklPixelprojekt+City Scripts

Duisburg im Transit der Warenlogistik

Duisburg im Transit der Warenlogistik Andreas Langfelds „Kohleninsel“ und die Verflüchtigung des Ruhrgebiets Erschienen in: Pixelprojekt+City Scripts Von: Johannes Maria Krickl

[Dieser Beitrag erscheint in der Reihe „City Scripts trifft Pixelprojekt_Ruhrgebiet“, einer Kooperation des KWI-Blogs, dem Leiter des „Pixelprojekt_Ruhrgebiet“ Peter Liedtke (DGPh) und Autor*innen des Forschungskollegs City Scripts, die sich künstlerisch oder wissenschaftlich mit Bildserien des Pixelprojekt_Ruhrgebiet auseinandersetzen.]

Was sich derzeit im Duisburger Hafen regt und tut, wird weithin als Beispiel gelungenen Strukturwandels im Ruhrgebiet verstanden. Aktuelles Großprojekt von duisport, so der Markenname aller Tochtergesellschaften der Duisburger Hafen AG, ist der Umbau der Kohleninsel zum trimodalen Duisburg Gateway Terminal.

Abb. 1: © Andreas Langfeld

Dieses will 2023 nicht nur als größtes Containerterminal im europäischen Binnenland den Betrieb aufnehmen, sondern setzt sich außerdem das Ziel, den Güterverkehr dank Wasserstofftechnologie in Zukunft auch gänzlich klimaneutral abzufertigen. „Ausgerechnet die Kohleninsel,“ bemerkte jüngst die FAZ, soll zum schadstoffeinsparenden Innovationsort im Ruhrgebiet werden.1 Dort zeichnet sich jene Entwicklungslogik ab, die der Duisburger Hafen seit mehr als zwanzig Jahren öffentlichkeitswirksam für sich auszuspielen versteht. Im Zuge der Deindustrialisierung hat sich duisport an Rhein und Ruhr buchstäblich als Lückenfüller etabliert. Der Niedergang der Montanindustrie alter Schule wurde zur Geburtsstunde der innovativen Logistikwirtschaft in Duisburg stilisiert. Orchestrierter Containerumschlag rückt an die Stelle bracher Produktionsstätten der krisenbehafteten Schwerindustrie. Im linksrheinischen Rheinhausen riss die Duisburger Hafen AG Ende der 1990er noch die ausgedienten Hochöfen von Krupp ein, um dort Platz für das heutige Logistikareal logport I zu schaffen. Auf anderen Industriebrachflächen in und um Duisburg herum folgten in den Jahren logport II bis VI.

Abb. 2: © Andreas Langfeld

Mit dem anstehenden Ende der Kohle als Energieträger, ist auch das Schicksal der Kohleninsel als Verladungs- und Aufbereitungsort des fossilen Brennstoffes besiegelt. So schlägt duisports wirtschaftliche Krisenintervention bei der Abwicklung des Strukturwandels einen fatalistischen wie auch selbstsicheren Ton an, wenn auf der Unternehmenswebseite zu lesen ist: „Kohle und Stahl gingen – duisport kam.“2

Die Hafenbetreiber verstehen das Industrieerbe des Ruhrgebiets als Bürde industrieller Altlasten, hoher Arbeitslosenzahlen und monostruktureller Visionslosigkeit.3 Doch dient dieses Erbe auch als findiges und nur allzu probates Legitimierungsmittel der eigenen wirtschaftlichen Expansion. „Kohle und Stahl“ stehen dabei als Exposition den logistischen Visionen für die Stadt voran; und das immer in einer Geste der Abkehr und der Abgrenzung davon. Das Hafenmanagement verpasst der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft immer den Anstrich einer Krise. Es schaut besorgt auf den schwächelnden Stahlstandort Duisburg, spricht im Zuge der Digitalisierung von einem zweiten Strukturwandel, warnt vor den Herausforderungen der Globalisierung, charakterisiert sich dabei aber selbst immer als Macher mit den richtigen Lösungen in der Hinterhand. Das ist Kontingenzbewältigung mit Ansage.

Seine unternehmerische Genese und seine Rolle für die Stadt Duisburg und die Region beschreibt duisport nicht im üblichen Erzählmuster, wie es sonst im Ruhrgebiet vorherrscht und sich kulturell als identitätsstiftendes Paradoxon verfängt. Der Philosoph und ehemalige Metropolenschreiber Ruhr Wolfram Eilenberger bringt die Widersprüchlichkeit dieses regionalen Selbstverständnisses aphoristisch auf den Punkt: „Das Ruhrgebiet gibt es erst, seit es das Ruhrgebiet nicht mehr gibt.“4 Das Ruhrgebiet, ein reines Wunschgebilde? „Seine Existenz als Identitätsgebiet,“ führt Eilenberger weiter aus, „ist die direkte Folge des Untergangs ebenjener Arbeits- und Lebensform, die seine Identität mutmaßlich bis heute ausmacht und stabilisiert.“5 Zurückprojizierte Stereotype und nostalgische Verklärungen, die gleichwohl von außen und von innen gespeist werden, nehmen dem Ruhrgebiet oft die Antworten auf die Fragen vorweg, was es denn eigentlich ist, was es einmal war und was es zukünftig sein will bzw. auch sein kann. Der kulturelle Rekurs auf die erzählte Vergangenheit gleicht – psychologisch gesprochen – fast einer Regression. Während sich die Imagination des Ruhrgebiets vorwiegend aus der Welt des Malochertums nährt und ihm eine konkrete Verortung als Kulturraum zuschreiben will, ist der entsprechende Wirtschaftsraum im Begriff sich aufzulösen.6 Logistische Dienstleistungen, wie sie sich in großem Stil seit mehr als zwanzig Jahren in Duisburg etablieren, sind mitunter auch Treiber dieser Auflösungstendenz. Lean Manufacturing, Just-in-time-Lieferketten und Completely Knocked Down-Produktion heißen die Triebfedern dieser Entwicklung und sorgten in der Vergangenheit für große Abwanderungsbewegungen der industriellen Arbeit in andere Teile der Welt. Im Rahmen immer komplexer werdender Wertschöpfungsketten rücken dafür an ihre Stelle neue Arten und neue Orte der Arbeit in der Logistikbranche und im weiterverarbeitenden Gewerbe. Die zunehmende Dezentralisierung des Wirtschaftsraums wächst zum Gegengewicht des industriekulturellen Konsolidierungsversuchs an. Man wird also Bilder der Montanhistorie, wie sie dem Ruhrgebiet oft bleiern auf den Schultern lasten, als dessen Identitätskonstante immer mehr hinterfragen müssen.

Auf der Kohleninsel in Duisburg-Untermeiderich spielt sich dieser Dezentralisierungsprozess paradigmatisch wie unter einem Brennglas ab. Rührseligkeiten beim Abschied von den ikonischen Kohlenbergen gibt es seitens offizieller Stellen dabei eher nicht. Rationalität und Pragmatismus bestimmen die Planung der Zukunft. Eine einfühlsame Ausnahme stellt Andreas Langfelds photographische Arbeit über die Kohleninsel dar.

Abb. 3: © Andreas Langfeld

 

Abb. 4: © Andreas Langfeld

 

Abb. 5: © Andreas Langfeld

Vor allem seine Arbeiterportraits zeugen von der Fragilität individueller Schicksale, wenn sie einer ungewissen Zukunft ausgesetzt sind. Der Absatzmarkt für Steinkohle stagniert nämlich seit Jahren und Abnehmer waren ohnehin schon lange auf Importkohle aus Australien, Südamerika und Russland angewiesen. Diese wurde im Duisburger Hafen für die Stahlproduktion, überwiegend aber für Kraftwerke zur Verstromung aufbereitet.

Abb. 6: © Andreas Langfeld

Mit der allgemeinen politischen Energiewende in Deutschland ändert sich nun auch das.7 Schluss mit der Kohle, Schluss mit der Kohleninsel. Denn wenn die Klimapolitik das Ende der Kohleverstromung und die Produktion von grünem Stahl fordert, dann zählen Kohlenlager, Verlade- und Mischanlagen, Kräne und Kaue auf der Kohleninsel unweigerlich zum kollateralen Schwund einer endenden fossilintensiven Industrie und Energiewirtschaft.

Abb. 7: © Andreas Langfeld

Langfelds Photographien meiden den Kitsch des trotzigen Malocherstolzes. Bei seinem Versuch, dem oft so schematischen Strukturwandel Persönlichkeiten und Gesichter entgegenzuhalten, spricht anstatt dessen eine nachklingende, unauflösbare Melancholie. Ein künstlerischer Gegenentwurf zu den betriebswirtschaftlichen Langzeitfaktoren stetig sinkender Transportkosten, globaler Produktionskonzepte und strengerer Klimaziele, die das Aus der Kohle im Duisburger Hafen zur nüchtern einkalkulierten Fußnote werden ließen.

Abb. 8: © Andreas Langfeld

Der Duisburger Hafen steht trotz aller Vorhersagbarkeit unter Zugzwang und weiß aus der vermeintlichen Not eine Tugend zu machen. Auch wenn man mit dem neuen Containerterminal Impulse für einen klimafreundlicheren Güterverkehr setzen will, so ordnet sich der Nachhaltigkeitsgedanke einer umgewidmeten Kohleninsel doch dem strategischen Ausbau des Standorts Duisburg als europäische Logistikdrehscheibe unter. Schadstoffeinsparung in der Logistik durch Wasserstofftechnologie: vorerst ein PR-fähiges Nebenprodukt (durchaus mit Modellcharakter) einer sonst so verruchten Branche. Hauptziel wird es allerdings sein, mit dem neuen trimodalen Containerterminal im internationalen Wettbewerb um die Abfertigung von Konsumgütern und Halbfabrikaten zu bestehen und für den Logistikstandort Duisburg zu werben.

Im Fachjargon gesprochen, definiert sich der Duisburger Binnenhafen als hinterland hub, als großes Güterverkehrszentrum. Es profitiert in erheblichem Maße von der geographischen Nähe zu den größten europäischen Seehäfen Rotterdam und Antwerpen und deren rasant wachsenden Umschlagsvolumina. In der internationalen Presse liest man zudem von „Germany’s China City“8 und von „Duisburgs Rettung […] aus dem Fernen Osten“9, weil man sich an Rhein und Ruhr seit 2013 wirkungsmächtig als zentraleuropäischen Endpunkt der sogenannten Neuen Seidenstraße vermarktet.  Mittlerweile versteht sich Duisburg als wichtige Schaltstelle im Netzwerk internationaler Handelsbeziehungen und definiert immer breiter gestreute Wertschöpfungsketten und deren positive Spillover-Effekte als Richtgröße des wirtschaftlichen Erfolgs. Die Stadt vollzieht den Wandel zur „logistics landscape“, wo ein infra- und suprastrukturelles System aus Lagerhallen, Schienenkränen, Containerzügen, Schiffschubverbänden, Spundwandkais und geleitetem LKW-Verkehr allmählich die monumentale Industrielandschaft des Ruhrgebiets verdrängt.10 Die Drehscheibe Duisburg schleust immer mehr Container durch Europa und wieder in die Welt hinaus. Die Stadt hängt am Warenstrom, sie geht in ihrer globalen Vernetzung auf und der Welthandel gibt ihr die Taktung des Wandels vor. Duisburg ist wahrlich eine Stadt im Transit und ihre Logistikstrategie ein Script postindustrieller urbaner Veränderungen. „There has been a shift from ‚figure‘ to ‚flow,‘“ beschreibt die Architektin Clare Lyster Städte im postfordistischen Zeitalter, „generating new configurations of urban space born out of networks that increasingly dominate our lives.“11 Demgemäß wird sich die alte Kohleninsel unter der Abfertigung von Millionen von Containern verflüchtigen. Umgeschlagene TEUs (Twenty-foot Equivalent Units) werden zur Kennzahl des gelungenen Strukturwandels. Globale Wirtschafts- und Handelsverflechtungen bilden die Grundlage neuen kommerziellen Wachstums, und der Duisburger Hafen wird zwangsläufig daran beteiligt sein, die Konturen der Stadt und des Ruhrgebiets, wie wir sie kennen, aufzulösen und zu verändern. Den Blick in die Zukunft gerichtet, wird man sagen müssen: Duisburg wird es erst geben, wenn es Duisburg nicht mehr geben wird. Nur im Durchfluss der Güter und Waren, nur in der Entgrenzung ihres Wirkungsbereiches wird Duisburg als Logistikstadt vollends ihre neue Bestimmung finden.

References

  1. Thomas, Peter (2022): Wasserstoff auf der Kohleninsel, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.02.2022, Nr. 38, S. T2.
  2. Duisburger Hafen AG: logport: Wir gestalten den Wandel, in: duisport.de, [https://duisport.de/kompetenzen/industrieflaechen-logisitkimmobilien/das-logport-konzept/], (letzter Zugriff: 07.06.2022).
  3. s. Balzter, Sebastian (2016): Das Wunder von Duisburg, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.09.2016, Nr. 37, S. 26.
  4. Eilenberger, Wolfram (2021): Das Ruhrgebiet. Versuch einer Liebeserklärung, Stuttgart: Tropen, S. 96.
  5. Ibid.
  6. s. Ellerbrock, Karl-Peter (2018): Das Ruhrgebiet – widersprüchlich wie nie zuvor, in: FAZ.NET, [https://faz.net/aktuell/politik/inland/warum-das-ruhrgebiet-nur-noch-im-mythos-lebt-15944695.html], 16.12.2018, (letzter Zugriff: 07.06.2022).
  7. s. Bünder, Helmut (2017): Kohle aus allen Ecken der Welt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.12.2017, S. 21.
  8. Oltermann, Philip (2018): Germany’s ‘China City’: How Duisburg became Xi Jingping’s gateway to Europe, in: The Guardian, [https://theguardian.com/cities/2018/aug/01/germanys-china-city-duisburg-became-xi-jinping-gateway-europe], 01.08.2018, (letzter Zugriff: 07.06.2022).
  9. Kahl, Jürgen (2017): Duisburgs Rettung kommt aus dem Fernen Osten, in: Neue Zürcher Zeitung, https://nzz.ch/international/zugverbindung-china-deutschland-duisburgs-rettung-kommt-aus-dem-fernen-osten-ld.155297, 04.04.2017, (letzer Zugriff: 07.06.2022).
  10.  s. Berger, Alan und Charles Waldheim (2008): Logistics Landscape, in: Landscape Journal, Jhg. 27, Nr. 2, S. 219-246. https://doi.org/10.3368/lj.27.2.219.
  11. Lyster, Clare (2016): Learning from Logistics. How Networks Change Our Cities, Basel: Birkhäuser, S.1-3. https://doi.org/10.1515/9783038210962.

SUGGESTED CITATION: Krickl, Johannes Maria: Duisburg im Transit der Warenlogistik. Andreas Langfelds „Kohleninsel“ und die Verflüchtigung des Ruhrgebiets, in: KWI-BLOG, [https://blog.kulturwissenschaften.de/duisburg-im-transit-der-warenlogistik/], 15.06.2022

DOI: https://doi.org/10.37189/kwi-blog/20220615-0830

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