Nina Sillem5 Fragen an...

Sachbücher schreiben: 5 Fragen an Nina Sillem

Sachbücher schreiben: 5 Fragen an Nina Sillem Erschienen in: 5 Fragen an... Von: Nina Sillem

In früherer Zeit, als man auf andere Menschen noch freimütig in physischer Ko-Präsenz einreden konnte, ohne sich über die dabei getauschten Bakterien und Viren zu sorgen, also im Januar, fand am KWI ein kleiner Workshop statt. Es ging um Sachbücher aus der Feder von Wissenschaftler*innen und damit auch um jene Personen, die außerhalb des akademischen Betriebs zur Entstehung von solchen und anderen Büchern beitragen – etwa Verleger*innen, Lektor*innen, Buchhandelsvertreter*innen und Agent*innen. Die geistes- und kulturwissenschaftliche Forschung beginnt zunehmend, sich für die von ihnen geprägte Hinterbühne des Textgeschehens zu interessieren. Zu Recht, denn nach welchen Kriterien Exposés und Manuskripte ausgewählt und redigiert werden, wie Bücher gestaltet und vermarktet werden, diese und ähnliche Fragen sind sowohl für die Literaturwissenschaften wie auch für die Wissenschaftsforschung und die Wissenschaftsgeschichte relevant. Sie betreffen darüber hinaus auch die Praxis von Forschenden, die ihre Monographien gedruckt sehen wollen. In der Regel wird ein Fachverlag kontaktiert, aber manche Wissenschaftler*innen publizieren auch bei Publikumsverlagen. Und immer mehr wenden sich an eine Literaturagentur.

Schon ‚vor Corona‘ gab es Bakterien und Viren, Erkältungskrankheiten und viele andere Dinge mehr, die Menschen daran hinderten, für einen Workshop aus der Ferne anzureisen. Bei unserem Workshop konnten zwei Referent*innen leider nicht vor Ort sein, nämlich Annika Domainko, Sachbuchlektorin beim Carl Hanser Verlag in München, und Nina Sillem, Literaturagentin in Frankfurt am Main. Der neue KWI-Blog bietet nun die Chance, das Gespräch mit beiden ein wenig nachzuholen – in schriftlicher Form. Wir haben beiden per E-Mail fünf Fragen gestellt, und weil auf dem Workshop Nina Sillem zuerst sprechen sollte – als Agentin kommt sie mit einem Buchprojekt früher in Kontakt als der Verlag – geht es auch hier und jetzt mit ihr los.

Ines Barner & Nina Verheyen

 

(1) Was macht – kurzgefasst – eine Literaturagentur, und worin besteht die Kernaufgabe Ihrer Tätigkeit? Wie sind Sie selbst zu diesem Beruf gekommen?

Nach verschiedenen Stationen im Verlagswesen war ich von 1999 bis 2018 zunächst Lektorin, dann Programmleiterin für den Bereich Sachbuch/Wissenschaft beim S. Fischer Verlag. Bis auf einen ganz kurzen Ausflug in die Literatur war ich immer im Bereich Sachbuch tätig. 2019 habe ich mich dann mit einer Literaturagentur selbständig gemacht.

Während man als Lektorin mehr mit den notwendigen verlagsinternen Abläufen beschäftigt ist, habe ich jetzt als Agentin mehr Zeit, mich ganz auf das zu konzentrieren, was ich besonders gern mache: Themen und Autor*innen finden, Ideen verfolgen, Buchkonzepte mit entwickeln und Autor*innen bei der Vorbereitung und beim Schreiben ihrer Buchprojekte beratend zur Seite stehen. Schön ist, dass ich jetzt mit vielen verschiedenen Verlagen in Kontakt bin – vom großen Konzernverlag bis zu den kleinen, unabhängigen Häusern –, da ja auch ein wesentlicher Teil meiner Aufgabe darin besteht, den jeweils passenden Verlag für die Buchprojekte meiner Autor*innen zu finden. Ich bin Anwältin der Autor*innen, begleite sie von der ersten Buchidee über das erste Konzept bis hin zum Manuskript und zum fertigen Buch. Und darüber hinaus, denn mir liegt sehr an einer langfristigen Zusammenarbeit.

(2) Was ist ein ‚Sachbuch‘, was macht Ihrer Meinung nach ein gutes Sachbuch aus, und wann sind Buchprojekte von Wissenschaftler*innen für Sie interessant?

Wichtige Kriterien sind, dass mir das Buch einen neuen Blick auf die Welt ermöglicht, dass es Orientierung bietet. Ein gutes Sachbuch sollte die Leser*innen die Gegenwart oder auch die Vergangenheit neu sehen lassen, aufklären, anregen und etwas in Bewegung setzen wollen. Wichtig ist natürlich die Autor*in als Absender, entweder als die jeweils bestmögliche Expert*in zum Thema oder als jemand, der aus unterschiedlichen Gründen einen besonderen persönlichen Zugang, eine besondere Sicht auf das Thema hat.

Ich finde es überaus begrüßenswert, dass immer mehr Wissenschaftler*innen ihre Themen auch einem großen Publikum präsentieren wollen. Bücher aus „erster Hand“, also von Wissenschaftler*innen über ihre Forschungsarbeit, spielen eine immer größere Rolle. Wissenschaftsjournalist*innen als Mittler*innen zwischen Wissenschaft und Publikum sind inzwischen weniger gefragt. Nicht nur Naturwissenschaftler*innen, sondern auch mehr und mehr Historiker*innen, Sozialwissenschaftler*innen oder Politikwissenschaftler*innen beteiligen sich nun direkt am allgemeinen Diskurs. Dieses gesellschaftliche und/oder politische Engagement ist wichtig. Eine akademische Karriere und der Wunsch, ein großes Publikum zu erreichen, schließen sich nicht aus. Popularisierung bedeutet nicht zwangsläufig Verflachung, dem Publikum darf man durchaus etwas zutrauen. Das zeigt sich erfreulicherweise auch immer wieder einmal auf der Bestsellerliste.
Interessanterweise spielen, zum Beispiel bei Veröffentlichungen aus den USA oder Großbritannien, inzwischen nicht nur die Forschungsergebnisse selbst eine Rolle, sondern auch der Weg dorthin.

Ein vielversprechendes, gutes Exposé sollte eine interessante These haben, über das eigentliche Thema hinausweisen, zeigen, dass die Autor*in eine Vorstellung vom Konzept des Buches hat und warum sie der richtige Absender ist. Neben einer Gliederung und einer kurzen Einführung zum Thema, die auch eine Art „road map“ des Buchprojekts skizziert, sollten noch ein, zwei Probekapitel eine Vorstellung vom Schreib- und Erzählstil vermitteln. Die Idee des Buches sollte sich schlüssig darstellen, der rote Faden, der die wesentlichen Aspekte miteinander verbindet, sollte deutlich sichtbar sein.

Aber alles fängt mit der Begeisterung und der Leidenschaft an. Oft ist mir nach wenigen Seiten klar, ob mich ein Thema packt bzw. ob ich darin etwas entdecke, was ich gerne mit dem Autor oder der Autor*in weiterentwickeln will. Es zählen natürlich die eben genannten formalen Kriterien, meine Erfahrung und die Kenntnis des Marktes etc., aber natürlich ist es auch eine durchaus subjektive Entscheidung, ob mich die Leidenschaft und die Expertise der Autor*in anstecken und ich ein Buchprojekt für vielversprechend halte. Vielversprechend kann Mehreres bedeuten: ein Buch, das in der Öffentlichkeit Gehör findet, das neue Perspektiven aufzeigt, das medial wahrgenommen wird oder im besten Fall die Welt verbessert oder gar verändert. Ökonomischer Erfolg, der mit großem Publikumsinteresse einhergeht, ist natürlich auch ein Aspekt.

(3) Wie finden Sie die Projekte und Autor*innen, die Sie vertreten bzw. verlegen, und wie vollzieht sich die Kooperation im Detail?

Das Tolle an meinem Beruf ist, dass es viele Wege gibt, Buchprojekte auf den Weg zu bringen. Er gibt mir die Möglichkeit, Menschen anzusprechen, die ich interessant finde und mit ihnen, falls sie interessiert sind, ein Thema zu finden und ein Buchkonzept zu entwickeln. Oder ich suche zu einem Thema, das ich spannend finde und für wichtig halte, die passende Autorin. Oder, ganz einfach, Autoren melden sich mit ihrer Buchidee direkt bei mir.

Anfangs geht es viel ums Zuhören und Nachfragen, darum Ideen zu ordnen, die verschiedenen Aspekte zu gewichten, die These zu formulieren, um allmählich das Konzept des Buches und die Positionierung des Autors oder der Autorin zu entwickeln. Nachdem das Exposé steht, versuche ich, den passenden Verlag für das Projekt zu finden. Dabei spielen u. a. das Programmumfeld, der Markt, aber auch die Protagonist*innen in den Verlagen, also die jeweiligen Lektor*innen und ihre Kolleg*innen in den vermittelnden Abteilungen und ihre Begeisterung für ein Buchprojekt, eine wichtige Rolle.

Ist der Verlag gefunden, verhandle ich die Vertragskonditionen, natürlich alles immer in Abstimmung mit den Autor*innen. Ich bin in jeder Phase dabei und bin natürlich immer ansprechbar. Wie eng ich den Entstehungsprozess eines Buches und seinen Weg hinaus in die Welt begleite, ist individuell und orientiert sich auch sehr an den Bedürfnissen der Autor*innen. Mir ist es sehr wichtig, dass die Autor*innen ein gutes Verhältnis zu ihren Verlagen haben und eine enge Allianz zwischen Autor*in, Verlag und Agentur besteht. Uns eint ja alle das gleiche Ziel, wir wollen das Beste für das Buch.

(4) Welche Entwicklungen des Agenturwesens lassen sich Ihrer Ansicht nach beobachten? Verschiebt sich das Verhältnis zur Wissenschaft? 

Sachbücher sind sozusagen die Bücher der Stunde. Der Sachbuchmarkt wächst, was sicherlich mit dem Bedürfnis nach Orientierung in diesen unruhigen und ungewissen Zeiten zu tun hat. Und das Spektrum ist inzwischen weit gefasst: vom Debattenbuch über Geschichte, Politik, Zeitgeschehen, Natur- und Geisteswissenschaften bis hin zum erzählenden Sachbuch in all seinen Formen, zu Ratgebern und Biographien.

Das Sachbuch scheint auch in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit zu bekommen, gleich zwei neue Preise gibt es: „Wissen!“, den Sachbuchpreis der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für Geisteswissenschaften, und den vom Börsenverein initiierten Deutschen Sachbuchpreis, der hoffentlich nun im Frühjahr 2021 erstmals verliehen werden kann.

Der starke Wunsch nach Wissen, Bildung und Orientierung vergrößert natürlich auch die Möglichkeiten für Publikationen von Wissenschaftler*innen, wenn sie bereit sind, zu relevanten Themen Stellung zu beziehen und gesellschaftspolitische Impulse zu geben.

(5) Gibt es Unterschiede zwischen Ihrer Arbeit mit wissenschaftlichen Autor*innen und derjenigen mit anderen Schreibenden und wenn ja, wie ließen sich diese Differenzen beschreiben? Was wünschen Sie sich von der Wissenschaft?

Schwer zu sagen, die Zusammenarbeit ist so unterschiedlich wie Autor*innen verschieden sind. Vielleicht könnte man sagen, dass sich bei manchen Wissenschaftler*innen, die sich entschlossen haben, außerhalb des engeren akademischen Rahmens zu publizieren, eine Freude, eine Art Befreiung einstellt, ihren Forschungsschwerpunkt anders anzugehen, anders zu präsentieren. Und natürlich auch ein anderes Feedback darauf zu bekommen. Ich würde mir sehr wünschen, dass immer mehr Wissenschaftler*innen uns mit Büchern für ein größeres Publikum die Welt entschlüsseln und uns sie mit neuen Augen oder aus einer anderen Perspektive sehen lassen.

SUGGESTED CITATION: Sachbücher schreiben: 5 Fragen an Nina Sillem, in: KWI-BLOG, [https://blog.kulturwissenschaften.de/sachbuecher-nina-sillem/], 02.06.2020

DOI: https://doi.org/10.17185/kwi-blog/20200602-0900

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