Leonie ReiterQuellen des Mangels

Was wäre die Welt ohne Autos?

Was wäre die Welt ohne Autos? Über die Frage von Verzicht und Wandel in Folge der Klimakrise Erschienen in: Quellen des Mangels Von: Leonie Reiter

YouTube Video

Straßen voller Menschen, aber keinerlei Autos – das ist es, was man in diesem etwa einminütigen Video zu sehen bekommt. Was zunächst wie eine Vision davon wirkt, wie eine Welt ohne Autos aussehen könnte, entpuppt sich in den letzten Sekunden als ein Werbeclip. Es handelt sich um einen Spot der Marke Saturn Ion aus dem Jahr 2003,1 die verspricht, nicht das Auto, sondern die Menschen in den Vordergrund zu stellen. Was im Werbespot aber indirekt ins Bild gesetzt wird, ist, wie viel Raum Autos einnehmen und wie viel Platz es ohne sie in den Städten gäbe. Die Kommentarspalten sind voll von Anmerkungen, die die Ironie des Videos offenlegen. Ein Zuschauer äußert sich: „This ad is a great argument against cars, how inefficient they are, and how much space they and their roads take up. Ironically, this car ad makes me want to live without a car.“

Klimabewegungen und Bürger:inneninitativen fordern schon seit langem autofreie Innenstädte, um die bislang von den Autos eingenommenen Flächen als soziale Räume nutzen zu können. Gerade also das, was die Autowerbung verspricht, ließe sich womöglich viel besser umsetzen, wenn es gar keine Autos gäbe. Durch die sich verschärfende Klimakrise rückt diese Diskussion aktuell immer mehr in den Vordergrund. Und dennoch fällt die Vorstellung auf Verzicht schwer. Die Autoindustrie stellt, gemessen am Umsatz, den bedeutendsten Industriezweig der deutschen Wirtschaft dar.2

Kapitalismus und Klimakrise- Die Geschichte vom grünen Wachstum

Der Verzicht auf Autos und der Rückbau der Produktion sind dabei mehr als eine persönliche Entscheidung. Denn das kapitalistische System ist nicht darauf ausgelegt, zu schrumpfen. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Ulrike Herrmann zeigt in ihrem vieldiskutierten Buch Das Ende des Kapitalismus,3 welchen Einfluss das kapitalistische Wirtschaftssystem auf den Klimawandel hat und inwieweit beide eng miteinander verknüpft sind. Wie sie betont, besteht das zentrale Problem dieses Wirtschaftssystems darin, dass es auf kontinuierliches Wachstum angewiesen ist. Kapitalismus und Wachstum lassen sich nicht entkoppeln und eine abnehmende Wirtschaftsleistung würde unweigerlich mit Finanz- oder sozialen Krisen einhergehen. Um also fortbestehen zu können, benötigt der Kapitalismus unermüdliches Wachstum; und das auf einem Planeten, der nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung hat.

Diesem Dilemma wird aktuell durch den Ansatz des grünen Wachstums zu entkommen versucht. Die Idee dabei ist, dass in Zukunft erneuerbare Energien und bisher unerschlossene technische Neuerfindungen Produktion und Konsum im kapitalistischen System ökologisch machen und weiterhin gewährleisten können. Man spricht von einer Entkopplung von Einsatz und Ertrag, wobei mit wenig Energie viel produziert werden soll.4 Folgt man Ulrike Herrmann, handelt es sich dabei jedoch um eine Illusion.

Was ist die Alternative?

Bezogen auf das Beispiel Auto existieren vermeintlich klimaneutrale Alternativen wie hybride, Wasserstoff- oder Elektroautos. Herrmann rechnet jedoch überzeugend vor, dass allein die Herstellung der Akkus dieser Autos enorm viel Energie verbraucht. Erst nach einer extrem langen Nutzung würden sich diese Autos klimatisch im Vergleich zu Verbrennermotoren auszahlen. Um die Emissionen tatsächlich zu reduzieren, müssten die Automengen reduziert und nicht, einem stetigen Wachstumsanspruch folgend, noch vergrößert werden. Dies würde jedoch kein grünes Wachstum bedeuten, sondern grünes Schrumpfen. Herrmanns Schlussfolgerung fällt daher eindeutig aus: Die Klimakrise lässt sich im Kapitalismus nicht lösen. Wir können nicht auf ein grünes Wachstum vertrauen, sondern müssen unseren Energiekonsum massiv einschränken. Das bedeutet letztlich auch: Wollen wir unseren Planeten retten, so wird auch der Verzicht auf Autos unvermeidbar.

Ein solcher Verzicht bringt jedoch enorme Herausforderungen mit sich. Man benötigt einen immensen Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, da vor allem die Bevölkerung auf dem Land auf Autos angewiesen ist. Es braucht zudem barrierefreie Angebote, um alten Menschen und denen mit Behinderung Fortbewegung zu ermöglichen. Darüber hinaus waren 2023 in Deutschland etwa 779.700 Mitarbeitende in der Automobilindustrie beschäftigt.5 Bezieht man auch vorgelagerte Branchen mit ein, handelt es sich sogar um etwa 1,75 Millionen Erwerbstätige, die direkt oder indirekt in diesem Bereich arbeiten.6 Viele dieser Menschen würden bei einer Verkleinerung der Autoindustrie arbeitslos. Diese Folgen müssen im wirtschaftlichen Wandel mitbedacht werden.

Trotz aller Schwierigkeiten werden wir unseren Umgang mit Ressourcen dem anpassen müssen, was der Planet bereitstellt. Dies wird zwangsläufig mit Verzicht und Umstellungen einhergehen. Betrachtet man allerdings die Saturn Ion Werbung, wird deutlich: Was zunächst wie ein Mangel erscheint, muss nicht unbedingt einer sein. Auch wenn das sicher nicht das Ziel der Werbung war: Sie deutet an, was es bedeuten könnte, in einer Welt ohne Autos zu leben.

References

  1. Saturn Ion Commercial: https://www.youtube.com/watch?v=e_oWmY_mkCA (letzter Zugriff: 28.02.2024).
  2. BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2024): Automobilindustrie. BMWI, https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Textsammlungen/Branchenfokus/Industrie/branchenfokus-automobilindustrie.html (letzter Zugriff: 28.02.2024).
  3. Herrmann, Ulrike (2022): Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden, Köln: Kiepenheuer & Witsch, S. 163–183.
  4. Ebd.
  5. https://www.vda.de/de/themen/automobilindustrie/marktentwicklungen/beschaeftigungszahlen-und-beschaeftigungsentwicklung (letzter Zugriff: 13.04.2024).
  6. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/04/PD19_139_811.html (letzter Zugriff: 13.04.2024).

SUGGESTED CITATION: Reiter, Leonie: Was wäre die Welt ohne Autos? Über die Frage von Verzicht und Wandel in Folge der Klimakrise, in: KWI-BLOG, [https://blog.kulturwissenschaften.de/was-waere-die-welt-ohne-autos/], 28.05.2024

DOI: https://doi.org/10.37189/kwi-blog/20240528-0830

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