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Elevator Music = Elevating Music?

Elevator Music = Elevating Music? Über Fahrstuhlmusik und Weltbeziehung Erschienen in: Fahrstühle Von: Lino Ludwig, Lucas Geisthardt

Fahrstuhlmusik. Eigentlich haben die meisten davon schon einmal gehört, obwohl die wenigsten jemals mit einem Fahrstuhl gefahren sind, in dem tatsächlich Fahrstuhlmusik lief. Fahrstuhlmusik ist langweilig, vielleicht auch billig. „I make elevating music / You make elevator music“ rappt Eminem in seinem Song „Rap God“. Etwas mit Fahrstuhlmusik zu vergleichen, kann nicht wirklich als Kompliment gemeint sein. Wir wollen wissen, warum das so ist, und haben uns die Fahrstuhlmusik einmal genauer angeschaut – und angehört. Wir erläutern, wie diese Musik entstanden ist, wozu sie erfunden wurde und wie sie heute eingesetzt wird. Des Weiteren erörtern wir mit Hilfe der „Resonanztheorie“ von Hartmut Rosa, wie Fahrstuhlmusik auf Menschen wirkt und was das über unsere Gesellschaft aussagt. Dabei möchten wir Sie auf eine kleine Fahrstuhlfahrt mitnehmen und Sie nun vom Erdgeschoss der vielen Fragen in die erste Etage der Höreindrücke begleiten.

YouTube video

Liebe Lesende, nehmen Sie sich kurz Zeit hineinzuhören oder lassen Sie die Musik einfach im Hintergrund beim Lesen weiterlaufen. Wie wirkt diese auf Sie? Vielleicht sind Sie überrascht, dass sie eine recht entspannte und positive Stimmung ausstrahlt. Möglicherweise haben Sie auch das Gefühl, diese Musik nicht richtig ernst nehmen zu können. Solche und ähnliche Reaktionen spiegeln sich zumindest vielfach in YouTube-Kommentaren unter entsprechenden Videos mit Fahrstuhlmusik wider:

„ich hätte nie gedacht das ich mir sowas anhöre. Is ja sowas von entspannend. Danke dafür! Aber mal ne Frage-wer verdammt mixt sowas zusammen? :-)“

„Man merkt an den Kommentaren, dass wir uns alle Fahrstuhlmusik reingezogen haben 😀 Das Hirn ist mittlerweile Brei, aber auf ‘ne chillige Art“

„Hab’s jetzt 5 mal hintereinander gehört. Ich fühle mich, als wäre ich jetzt ein Fahrstuhl. Sollte man definitiv einführen als Geschlecht, neben Männlich, weiblich und divers. M/W/D/F.“

Den Kommentarspalten mangelt es nicht an Humor und Ironie. Viele berichten dort von ihren Assoziationen zu dieser Musik und den Situationen, in denen sie diese abgespielt haben. Indessen haben wir uns ebenfalls die Frage gestellt: „Wer verdammt mixt sowas zusammen?“

Um diese Frage zu beantworten, begeben wir uns nun in die zweite Etage der Fahrstuhlmusikgeschichte. In den 1920er Jahren hatte der US-amerikanische Soldat George Owen Squier die Vision, Musik überall laufen zu lassen. Er gründete die Firma „Muzak“ für Fahrstuhl- und Kaufhausmusik. Der technische Fortschritt zu dieser Zeit machte es erstmals möglich, über Tonträger, die immer leichter zugänglich wurden, Musik nicht mehr nur von einer Band, sondern vom Band spielen zu lassen. Bei der Eröffnung des Empire State Buildings lief bereits Muzak in den Fahrstühlen. Squier komponierte eine Hintergrundmusik, die sich dem Ort wie ein Möbelstück anpassen soll. Eines, das nicht fehlen darf und in jedem Wohnzimmer seinen Platz finden muss.1

Es war die Entstehung einer Hintergrund- und Funktionsmusik. Muzak produzierte Musik, die konkrete Zwecke erfüllen und Stimmungen spezieller Orte einfangen oder prägen sollte. Die Fahrstuhlmusik war also von Anfang für mehr als nur für den Fahrstuhl konzipiert. Bis heute unterscheidet sich diese Hintergrundmusik auch je nachdem, wer sie an welchem Ort zu hören bekommt. Im Fahrstuhl soll sie Vertrauen stiften und beruhigen, in den Fabriken die Produktivität der Arbeitenden verbessern und in den Supermärkten den Konsum steigern. Oder sie soll schlicht Wartezeiten erleichtern, wie diese Kommentare andeuten:

„Ich hab i-wie die ganze Zeit Angst dass irgendwann jemand ans Telefon geht. :D“

„Im Homeoffice stelle ich gerne dieses Video ein und wenn jemand anruft sage ich ‚Lieber Anrufer, Ihre Verbindung wird gehalten‘“

Die nächste Etage ist die der Anwendung von Fahrstuhlmusik, in welcher Sie erfahren, in welcher Weise diese uns heutzutage begegnet. Um im Hintergrund zu bleiben, bedient sich die Fahrstuhlmusik bestimmter Techniken. So verzichtet sie auf jeglichen Gesang oder herausstechende Instrumente, wie z.B. Trompeten, da sie zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ferner werden nicht nur neue Stücke komponiert, sondern auch bekannte Klassiker gecovert mit dem Ziel, nicht vordergründig aufzufallen und dennoch Vertrauen zu stiften. Allerdings klingen die Lieder alle auf ihre Weise gleich, was auf Dauer einen Abnutzungseffekt erzeugt. Protestaktionen wie z.B. „Lautsprecher Aus e.V.“ beklagen die permanente Beschallung, da man sich nicht mehr aussuchen kann, ob und was man wo hört.

2011 kaufte das Unternehmen „Mood Media“ Muzak von „Warner Brothers“, die wiederum Muzak 1934 nach Squiers Tod übernommen hatten.2 Auf der Kund*innenliste von Mood Media stehen verschiedene Firmen wie Primark, Telekom, Tchibo oder Jack Wolfskin. Die ursprüngliche Fahrstuhlmusik kommt in diesen Läden allerdings nicht mehr zum Einsatz. Es werden spezifisch abgestimmte Playlisten erstellt, die ganz auf die Produkte und die Kund*innen abgestimmt sind. Dabei werden z.B. Alter, Kaufkraft und demographische Herkunft der Einkaufenden ermittelt und die Musik dementsprechend abgemischt. In einem Berliner Szenegeschäft kann man dann seine Kleidung zwischen peppigen Technobeats anprobieren, während in der Weinabteilung eines Freiburger Supermarkts Chansons laufen, weil der Bordeaux gerade im Angebot ist.3 Die Marketingstrategien haben sich verändert. Man möchte die Menschen nicht mehr zum langen Verweilen animieren, sondern Vertrauen und Identifikation stiften, um sie zum Wiederkommen zu bewegen.

Um das Phänomen der Fahrstuhlmusik sozialphilosophisch betrachten zu können, besuchen wir den Soziologen Hartmut Rosa in der vierten Etage. Er diagnostiziert in seinem Buch Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung westlichen Gesellschaften einen strukturell bedingten Mangel an gelingenden Weltbeziehungen. Im Streben nach uneingeschränkter Verfügbarkeit von Gebrauchsgütern offenbart sich die Problematik des kapitalistischen Verlangens nach Weltaneignung. Das führt zu einem Mangel an sinnhaften und bedeutungsvollen Beziehungen. Eine Folge davon ist, dass das Welt- und Selbstverhältnis der Menschen von Entfremdung bestimmt wird. Entfremdung tritt nicht nur in Beziehungen von Menschen mit sich selbst und untereinander auf, sondern auch in Beziehungen zu Dingen oder ästhetischen Erfahrungen. Allen diesen unterschiedlichen Entfremdungssituationen ist ein systematischer Mangel an Resonanzerfahrungen gemein.4

Wie ein Ort aussehen könnte, der diesen Mangel an Resonanzerfahrungen repräsentiert, beschreibt Rosa folgendermaßen: „Blütenweiße Wände, Blumen auf dem Tisch, perfekte Ordnung, makellose Sauberkeit, leise Musik“.5 Rosa skizziert ein Bild einer perfekt anmutenden Wohnsituation. Was nach einem harmonischen Wohnzimmer klingt, läuft Gefahr in eine latent depressive Stimmung zu kippen. Resonanz setzt immer etwas „Nichtanverwandeltes“ und Fremdes voraus. Für Rosa ist diese Wohnung zwar schön, aber nicht „sprechend“. Resonanz ist nur mit „sprechenden“ Weltausschnitten möglich, die wiederum mit Unverfügbarkeit und Widerspruch einhergehen. Wird einer Sache also jegliches Konfliktpotential genommen, sodass es keinen Raum zum Anecken gibt, ist sie nicht mehr in der Lage (an-) sprechend zu sein.6

Ist die Fahrstuhlmusik also nur ein Hintergrundrauschen? Diese Frage stellen wir uns in der fünften Etage, in welcher wir uns anschauen, wie Fahrstuhlmusik in Stress- oder Konfliktsituationen wirkt. Wenn bei Muzak alle aufdringlichen Instrumente durch sanfte ersetzt werden, die Stimme generell herausgelöscht wird, dann wird diese Musik stubenrein und verliert ihre Resonanzfähigkeit. Der Versuch der permanenten Verfügbarmachung von Musik sowie der ultimativen Erschließung von Resonanzräumen, die mit Muzak einst begonnen hat, muss eine Illusion bleiben. Für Rosa scheint die Musik „so etwas wie das universelle Bindemittel für das spätmoderne Weltverhältnis geworden zu sein.“7 Dabei betont er ausdrücklich, dass die Hörenden vor allem die Stimme brauchen und nicht den Text. Die Fahrstuhlmusik ist bewusst so geschaffen, dass sie nicht irritiert. Sie läuft konfliktfrei im Hintergrund und kann dadurch in angespannten Situationen stressmindernd wirken und Bedrohliches abmildern. In solchen Fällen kann Fahrstuhlmusik durchaus Resonanzerfahrungen erleichtern, da sie diese Situationen entschärft. Das würde auch den ironischen Grundton in den YouTube-Kommentaren erklären.

„Mit dieser Musik ist nichtmal Outlast gruselig :D“8

„Jetzt weiß ich was ich machen muss, wenn ich Stress habe.“

Eine Fahrstuhlfahrt kann durchaus als mögliche Konfliktsituation betrachtet werden. Im Mikrokosmos des Fahrstuhls zeigt sich paradigmatisch die von Rosa problematisierte Entfremdung: In verkrampften Gesichtern, Gesten und Haltungen und dem Gefühl des Unbehagens mit Fremden auf engem Raum gefangen zu sein. Fahrstuhlmusik sollte also stets Beklemmungen lösen und die Menschen besänftigen. Während der Fahrstuhl starr und abweisend ist, wirkt die Musik fluide und beschwingt. Nach der Resonanztheorie gibt Fahrstuhlmusik den Menschen zumindest die Ahnung von Berührung in einer repulsiven Umgebung. Hinter der Intention dieser Musik steht die Sehnsucht nach ständiger Verfügbarkeit. Der Effekt von Muzak verstärkt die Utopie von permanenter Resonanz – und fügt sich damit perfekt in die Verwertungslogik der Spätmoderne ein. Die ungefährliche Unauffälligkeit der Fahrstuhlmusik ist zwar konfliktfrei, allerdings nicht in der Lage uns wirklich zu berühren. Von Beginn an war sie eng verbunden mit dem Geschäft der Stimmungsproduktion und Manipulation. Ihr Charakter ist ambivalent.

Wir gelangen nun ins Dachgeschoss, welches uns einen Panoramablick auf die Fahrstuhlmusik und die Effekte von Funktionsmusik in unserem Alltag eröffnet. Setzt man sich an diesem Aussichtspunkt die Rosa-Brille auf, lässt sich erkennen, dass nicht nur die spezifische Beschaffenheit der Fahrstuhlmusik, sondern auch ihre universelle Gegenwärtigkeit und Transformation zur „Überall-Musik“9 als Problemanzeiger fungieren können. Die historische Entwicklung von Fahrstuhlmusik und ihre Anwendung lassen sich als Sonde und Vergrößerungsglas für „Pathologien“ spätmoderner Weltbeziehungen betrachten. Es zeichnet sich eine Kontinuitätslinie von den Anfängen der Fahrstuhlmusik bis hin zur Überall-Musik von „Spotify & Co“ oder „Mood-Industry“ ab. Fahrstuhlmusik ist heute nicht mehr zwangsläufig stimmbereinigt, sondern auf den jeweiligen Ort und Kontext abgestimmt. Allerdings hat sich am grundlegenden Prinzip, Hintergrund und Vordergrund strategisch verschwimmen zu lassen, nicht viel geändert.

Rosas Resonanztheorie macht deutlich, dass der Versuch, durch Fahrstuhlmusik Resonanz zu simulieren, ein Gefühl des Unbehagens zurücklassen muss. Sie kann erklären, warum Fahrstuhlmusik heutzutage einen so schlechten Ruf hat. Die Funktionalisierung von Musik, die mit Muzak begann, geht heute weit über die Fahrstuhlmusik hinaus. Die „Fahrstuhlisierung“ der Musik folgt der kapitalistischen Tendenz der Verfügbarmachung der Welt. Das lässt sich an den angepassten Stimmungsplaylisten von Spotify erkennen, in welchen die Sehnsucht nach dauerhafter Berührung und Affizierung mit der „Muzaklogik“ verknüpft wird. Dadurch läuft Popmusik Gefahr, in eine künstlerische Sackgasse zu geraten. Denn Musik verkauft sich besser, wenn sie sich der Verwertungslogik der Stimmungsplaylisten anpasst, als wenn die Musik für sich steht. Mit dem zum Scheitern verurteilten Versuch dieser musikalischen Verfügbarmachung schlägt Fahrstuhlmusik selbst in eine neue Form der Entfremdung um. Die „Fahrstuhlisierung“ der Musik ließe sich damit sowohl als Antwort sowie als Ursache spätmoderner Entfremdungserfahrungen ausmachen.

References

  1. Plodroch, I. (2020): „Von der Fahrstuhlmusik zum Streaming – Die Überall-Musik“, Deutschlandfunk Podcast, Min. 3-5, https://www.hoerspielundfeature.de/von-der-fahrstuhlmusik-zum-streaming-die-ueberall-musik-100.html (letzter Aufruf: 15.03.2022).
  2. Interview mit Joseph Lanzer, Autor des Buches „Elevator Music: A Surreal History of Muzak, Easy Listening and Other Moodsong“: National Public Radio, Inc. (2013): Easy-Listening ‘Muzak’ Reborn As ‘Mood Media’, https://www.npr.org/2013/02/05/171191578/easy-listening-muzak-reborn-as-mood-media?t=1652800641243 (letzter Aufruf: 17.05.2022).
  3. Vgl. zwei Studien zum Kaufverhalten mit Musikbeeinflussung: University of South Florida (2018): Cheeseburger or salad? How music volume impacts your decision, https://www.sciencedaily.com/releases/2018/05/180523160058.htm (letzter Aufruf: 15.03.2022) und North, A. et al. (1997): In-store music affects product choice, https://www.nature.com/articles/36484 (letzter Aufruf: 15.03.2022).
  4. Rosa, Hartmut (2019): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. 1. Auflage. Berlin: Suhrkamp Verlag, S. 52-61.
  5. Ebd., S. 316.
  6. Ebd., S. 317.
  7. Ebd., S. 112.
  8. Kommentar aus Fahrstuhlmusik-YouTube-Video: https://www.youtube.com/watch?v=Kituc4LS64Q (letzter Aufruf 15.03.2022).
  9. Plodroch, I. (2020): „Von der Fahrstuhlmusik zum Streaming – Die Überall-Musik“, Deutschlandfunk Podcast, https://www.hoerspielundfeature.de/von-der-fahrstuhlmusik-zum-streaming-die-ueberall-musik-100.html (letzter Aufruf: 15.03.2022).

SUGGESTED CITATION: Geisthardt, Lucas; Ludwig, Lino: Elevator Music = Elevating Music? Über Fahrstuhlmusik und Weltbeziehung, in: KWI-BLOG, [https://blog.kulturwissenschaften.de/elevator-music-elevating-music/], 25.07.2022

DOI: https://doi.org/10.37189/kwi-blog/20220725-0835

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