Es brennt!
Immer noch Wälder, die brennen, ja selbst in ihren Städten drinnen Wälder, wer hätte das gedacht. Ich dachte, alle Wälder sind passé.1
– Kathrin Röggla
Es brennt! Das ist nicht nur ein unheilvoller Ausruf bei Feuer, sondern auch eine Diagnose gegenwärtiger Literatur. Es brennt realiter, im August 2023 standen viele der Joshua-Bäume im Nationalpark in der kalifornischen Mojave-Wüste in Flammen, im Februar 2024 brannten Wälder in der chilenischen Provinz Valparaíso, Katalonien rief zeitgleich ob der Dürre den Wassernotstand aus. Es brennt zunehmend auch in der Literatur, indem Waldbrände Sujet fiktionaler Auseinandersetzung werden. Hier ist kein monokausales Verhältnis zu statuieren, das da hieße: Weil es realiter zunehmend brennt, brennt es jetzt auch literarisch. Jedoch ist ein Relationsgefüge festzustellen, das, denkt man auch an die politische Dimension (im Sinne einer Sensibilisierung) von Ecocriticism, Nature Writing und Climate Fiction, nicht zu vernachlässigen, und, noch weiter, zu begrüßen ist. Damit soll das Brennen nicht pauschal positiv umgedeutet werden als ‚Literature is on fire‘, Texte seien sozusagen ‚Feuer und Flamme‘ für Extremwetterereignisse und Umweltkatastrophen. Die Literatur (von Autorinnen) verliert aber rezentes und sich zuspitzendes Klimawandel-Geschehen keineswegs aus den Augen und bietet interessante Perspektivierungen des anthropogenen Klimawandels an.

Die Feuer (2021/22)
Der zweite Roman der australischen Schriftstellerin Claire Thomas, 2022 im Deutschen als Die Feuer erschienen (orig. 2021: The Performance), zeigt, wie drei Frauen (eine Literaturprofessorin, eine Kunstmäzenin und eine Schauspielschülerin) in Melbourne im Theater Becketts Glückliche Tage sehen, während gleichzeitig Buschfeuer wüten. Die Klimakatastrophe, die durch die Brände eng an die Figuren rückt, wird vor allem in Form von Gedanken(ketten) der Frauen verhandelt. Der Rauch der Brände greift bis nach Melbourne.
Die Schauspielschülerin Summer fürchtet nicht nur „die schleichende Erwärmung, das schmelzende Eis, die zerstörerischen Brände und Überflutungen“, sondern sie übt auch Kritik an der „kalten Kulturblase“ – was auf den klimatisierten Theaterraum anspielt, gleichzeitig aber auch auf die Oberflächlichkeit einer kulturellen Elite2 – der Theaterbesucher:innen, die unbehelligt trotz der Brände draußen Beckett anschauen. Und sie schämt sich selbst, wenn sie an etwas anderes denkt; zumal ihre Freundin April bei ihren Eltern in den brennenden Bergen ist. Der Text stößt eine Diskussion um die Frage der Betroffenheit und des Engagements an und kanalisiert diese über eine Differenz zwischen Stadt- und Landbewohner:innen.
Wie hatte sie die Feuer vergessen können? Wie konnte sie sich erlauben, an etwas anderes zu denken? Sie setzt sich auf und sieht sich pflichtschuldig im Zuschauerraum um. […] Vielleicht machen die Leute sich keine Gedanken um das, was außerhalb dieser kalten Kulturblase vor sich geht. Vielleicht fühlen sie sich in der Stadt und den Vorstädten sicher, als wäre da ein Puffer zwischen ihnen und den fernen, unberechenbaren Flammen.3
Dabei sieht sich Summer selbst kritisch, nicht allein, weil sie nur selten abseits des „Sesselaktivismus“ demonstriert – sie hat nur einmal mit Studierenden „gegen den Klimawandel“ protestiert oder zuletzt an einem gesellschaftskritischen ‚Happening‘ teilgenommen –, sondern auch, da sie zwar ein Seminar „über Ökoliteratur“ belegt (im Rahmen dessen hat die Professorin Margot einen Gastvortrag gehalten), die sie „fasziniert“ und „voller Hoffnung“ macht, aber sich dafür „schämte […], Romane zu lesen, während die Erde stirbt“.4
Bemerkenswert ist in Die Feuer eine Meta-Perspektive, bei der die Frage nach der Verhandlung von Klima und deren Zeitlosigkeit angedeutet wird – nämlich insofern, als Summer in Becketts Glückliche Tage, und zwar speziell in Winnies Situation in der Wüstenlandschaft, eine Reflexion der gegenwärtigen bedrohlichen Lage angesichts der vom Klimawandel bedingten Buschbrände sieht.
Summer fühlt eine große Sorge, so groß, aber sie weiß nicht genau, ob sie sich Sorgen um Winnie, um sich selbst oder um die glühende Welt da draußen macht. […] Jetzt, da die Sonne so viel sengender herunterbrennt … Werde ich selbst nicht vielleicht am Ende zerschmelzen oder verbrennen. Winnie auf der Bühne scheint den Klimawandel zu meinen, aber sie kann unmöglich den Klimawandel meinen, denkt Summer, weil das Stück vor sechzig Jahren geschrieben wurde […].5
Hier korreliert nicht nur Summers Furcht vor den Bränden und um April, die in den Bergen ist, mit dem Geschehen auf der Bühne, sondern es wird eine Aktualität des Beckett-Stücks herausgestellt und nachher auch konzeptuell eingeholt, insofern die Regisseurin „öko-feministische Aktivistin“6 sei, die metareflexiv auch auf Thomas’ Roman selbst zurückweist: Wie kann und muss man angesichts existenzieller (Klima)Notlagen schreiben? Möglich ist durchaus eine solche Lesart von Thomas’ Roman, die nahelegt, dass die Kunst der Realität nicht nur nicht gewachsen, sondern dass sie künstlich im Sinne von weltfremd bleibt, schließlich lauten die letzten Sätze des Romans, die Mäzenin Ivy sehe Summer mit einem Rucksack aus dem Theater rennen, „hinaus in die heiße, schwere Luft des echten Lebens“.7
Ewig Sommer (2022)
Im fiktiven Bad Heim in Franziska Gänslers Debütroman Ewig Sommer brennt es, weshalb die Protagonistin Iris nicht nur ihr Haus möglichst wenig verlassen soll, sondern in ihrem Hotel auch keine Gäste beherbergen darf. Entgegen der Regeln nimmt sie jedoch eine junge Mutter mit Tochter auf, die, so erfährt man im Laufe des Romans, aus einer patriarchalen Beziehung geflohen sind. Der schlichte und drängende Text lässt offen, wo der Schwerpunkt liegt: auf dem Familiendrama im nahezu leeren Hotel oder auf dem Feuerdrama draußen, das in Form von Rauch, Asche, bitterem Geruch und Warnmeldungen z.B. über sogenannte ‚rote Zonen‘ ins Hotel dringt. Ein Kollege fragte mich nach seiner Lektüre des Romans: „Und der Waldbrand? Bleibt er ein Hintergrundrauschen für eine Geschichte der Angst und des Zusammenfindens?“ Ihn spreche an, „wie es in diesem Buch lodert, innen und außen“. Ewig Sommer beginnt mit dem Waldbrand:
Obwohl bereits Mitte Oktober war, hatte die Hitze der vergangenen Tage die Brände noch einmal angefacht. Im Garten konnte man die Hubschrauber hören, die über dem Wald kreisten, außerdem alle zwei Stunden die Durchsagen der Polizei […]: Bleiben Sie zuhause, tragen Sie eine Schutzmaske, halten Sie Fenster und Türen geschlossen.8
Wie später auch bei Poschmann wird betont, dass es gerade die Nadelwälder sind, die brennen; Laubwälder dagegen speichern mehr Feuchtigkeit und sind folglich weniger gefährdet. Immer mehr spitzt sich die Lage zu, machen Windböen „die Flammen unberechenbar“, wirkt es apokalyptisch, etwa durch die im ausgetrockneten Teich liegenden toten Fische, die in ihrer Grausamkeit gezeichnet werden („[e]iner der Körper war aufgeplatzt, das Innere quoll nach außen“), die Mengen toter Vögel und den omnipräsenten Rauch: „Draußen war alles weiß, grau, braun. Rauch, überall.“9 Augenfällig ist ein Austarieren von Nähe und Ferne: Obwohl Iris geografisch sehr nah an den Waldbränden ist, sieht sie diese, weil ein Bruch zwischen den Tannenwäldern und ihrem Haus liegt, vor allem medial vermittelt in den Nachrichten: „Die Proteste, die Presse, all das fand auf der anderen Seite des Bruchs statt. Im Fernsehen sah ich die Glut, das niedrige Feuer, das als glimmernde Schnur die Senkungen und Hebungen des Waldbodens nachzeichnete, fraß und fraß.“10 Das fressende und damit animalisch konnotierte Feuer, dem wiederholt Unberechenbarkeit zugeordnet wird, ist verbunden mit dem Agieren von Klimaaktivist:innen, denen reale Parolen der Aktivist:innen von Fridays for Future in den Mund gelegt werden, die also ihren faktualen Alter Egos nachempfunden sind. Iris sieht in den Nachrichten: „Immer wieder: das Klimacamp. In der rot glühenden Welt zerschmolzen die Zelte in Sekundenschnelle zu grotesken Formen, beugten sich, entflammten. Das lange Banner, das die 1,8-Grad-Grenze einforderte, schlug wie eine Zunge nach oben, aus dem Bild, bis es zerfiel.“11 Bemerkenswert ist, wie, durch das sich zuspitzende Feuer, die Distanz zu den Aktivist:innen gebrochen wird, weil sie sich in Iris’ Hotel einquartieren, es also zu einer Kontaktszene der unterschiedlichen Generationen kommt. „‚Ich hab eure Arbeit den Sommer über verfolgt, eure Banner, die Parolen, den Protest‘“, sagt Iris zu den Mädchen:
Sie lachten darüber. ‚Es muss hart sein, hier zu leben. Wir verlagern unsere Arbeit ja nur punktuell an solche prekären Orte.‘ Sie hoben die Schultern, im Blick etwas wie Mitgefühl mit mir, den Menschen, die […] an den Wald gebunden waren. […] ‚Hier ist das ja besonders tragisch‘, sagte die eine. ‚Dass hier das Ökosystem so gekippt ist.‘ […] Sie sprachen von ökologischer Dynamik, von den Gründen, warum sich der Bad Heimer Wald nicht verjüngen würde, warum die Gegend dem Feuer nichts mehr zu erwidern hatte. ‚Darum sind wir ja hier‘, sagte die andere. ‚Weil das hier ja fast schon plakativ ist. Ist ja nicht lang her, dass das hier noch ein Holiday Spot war, und zwanzig Jahre später ist das alles tot. Das eignet sich gut als Backdrop für uns, so schlimm sich das anhört. […] Wie dringlich das alles ist, inzwischen.‘ ‚Inzwischen.‘ Sie lachten. ‚Es ist ja schon zu spät, eigentlich.‘12
Neben der pessimistischen bzw. fatalistischen und glücklicherweise nicht vollkommen realistischen Einschätzung, es sei gänzlich „zu spät“ für einen positiven Wandel, für das Erreichen von Klimazielen, zeigt sich einerseits, dass hier ein Dialog zustande kommt; wenngleich das lapidare Sprechen der Aktivistinnen bagatellisierend wirkt. Andererseits ist dieser Dialog gestört, insofern Iris eine signifikante Differenz zwischen sich und den Aktivistinnen feststellt, nicht nur hinsichtlich des Wissens über den Klimawandel, sondern auch im Umgang mit Sprache (mit englischen Termini, mit durch Doppelpunkte gegenderten Worten); Iris schämt sich: „Ich merkte, dass mein eigenes Sprechen mir veraltet vorkam, dass meine Passivität, mein Ausharren im Hotel etwas war, das ich erklären musste.“13 Die Aktivistinnen entgegnen Iris, dass sie vielleicht ‚zu nah dran‘ sei an dem Problem, aber es bleibt bei der Protagonistin ein Gefühl – und das mag ein Teil der Sensibilisierungs-Strategie des Textes sein –, sich zu passiv im Kampf gegen den Klimawandel zu verhalten.
Chor der Erinnyen (2023)
In Marion Poschmanns Chor der Erinnyen – einer Parallelgeschichte zu ihrem Roman Die Kieferninseln (2017), in dem Gilbert Silvester, Ehemann von Mathilda, in Begleitung eines suizidalen Studenten auf den Spuren von Basho durch Japan (und japanische Wälder) reist – verbringt Mathilda ein Wochenende mit zwei Freundinnen, deren Beziehung angespannt ist, in einer Waldhütte. Ringsum beginnt es zu brennen. Der Roman zeichnet sich aus durch ein mit post-humanistischen Elementen spielendes Verknüpfen der weiblichen Protagonistin mit den sie im Wald umgebenden Blättern. Die Bäume sind auf der einen Seite anthropomorphisiert: „langfingrige[] Zweige[] der Büsche“, „gebückt wirkende[] Stämme[]“, Laub als „beruhigendes Rieseln aus großen, wogenden, unerschöpflichen Körpern“; auf der anderen Seite ist die Protagonistin den Blättern anverwandt und betrachtet sich teilweise aus deren Perspektive, was sich zu einer Blatt/Frau-Symbiose verdichtet: „sie spürte die feinen Bewegungen des Laubs in sich zittern“, „[s]ich selbst erkennen im Fallen der Blätter“, „[w]ie sie sich unter diesen Blättern selbst in etwas Ungreifbares, Schwebendes verwandelte, ein Luftgeschöpf unter handförmigem Laub, das ihr übers Haar glitt, versank“, „[s]ie war leicht wie ein Blatt“.14
Bevor der Waldbrand erzählt wird, beschreibt die Erzählinstanz die außergewöhnliche Wetterlage: „Aber sie befanden sich im heißesten Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen […].“15 Poschmanns 2023 publizierter Roman nimmt vorweg, was Ende 2023 für Deutschland festgestellt wurde: das laut Deutschem Wetterdienst wärmste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn. Chor der Erinnyen stellt die Dürre der Natur dar, „die schon in die tieferen Bodenschichten vorgedrungen war“: das „müde hängende[] Laub“, die „trockenen braunen Gräser[]“, die „kahlen und mürben Äste[]“16 – Schilderungen, wie man sie aus Mirjam Wittigs Debüt An der Grasnarbe (2022) kennt, da allerdings mit Blick auf die verdorrte südfranzösische Natur. Hiermit verbindet sich Mathildas entschiedene Kritik an Monokulturen; auch der Borkenkäfer kommt vor. Die Tannenplantage macht auf sie ob der Gleichmäßigkeit den Eindruck, aus Plastik zu sein, und zum Ende des Romans kontrastiert sie den Laubwald („schuf sich sein Klima selbst, die Kühle, die Feuchtigkeit, die man unter Bäumen gemeinhin erwartete“) mit dem Nadelwald (hinter dem Forstweg „standen nur noch verkohlte Stämme. Die Harze und aromatischen Öle, das minimalistisch eingefallene Blattwerk, die poröse Borke ließen die Fichte bei Trockenheit brennen wie Zunder“).17 Der Waldbrand – „Es brennt, sagten sie aufgeregt, der Wald steht in Flammen“18 – wird dennoch als unerwartetes Ereignis beschrieben; abschätzig fragt sich die Protagonistin, ob die anderen denn nicht leuchtendes Herbstlaub von Flammen unterscheiden könnten. Das Brennen wird dann multisensorisch erfahrbar: Mathilda riecht und sieht den Rauch und meint ihn als „Prasseln“ zu hören.19 Das Agieren der Figuren (sie spritzen die Hütte, den Garten und die Bäume mit Wasser ab, „wie sie es im Fernsehen bei den Kaliforniern gesehen hatten“20), das die Protagonistin innerlich kritisiert (Wasserverschwendung), wird überblendet mit dem Handeln namenloser Personen in der Ferne, die Eilmeldungen herausgeben, berichten, in Hubschraubern über den brennenden Wald fliegen, löschen und Sirenen aktivieren.
Es kristallisieren sich Naherfahrungen mit dem Waldbrand heraus, erstens ein Traum, in dem das Feuer an Mathilda heranrückt, und zweitens die Suche nach dem Zentrum des Brandes, bei der eine Figur in ein Glutnest tritt. Beim Traum manifestiert sich eine Unschärfe von Wirklichkeit und Imagination, die dem Waldbrand irreale sowie apokalyptische Züge verleiht. Die Szene beginnt damit, dass der „kreideweiße Morgen“ an Mathildas Fenster „leckte“, „flackerte“, sich [fest]saugte“ und die Fensterscheibe „[ab]schleckte“ und „sich eine lange helle Zunge, Flammenzunge“ durch die Fensteröffnung „schob“. Die Darstellung, dass Rauch zwischen den Fichten steht und das Feuer aus dem Unterholz schlägt, wirkt zwar realistisch, aber das animalische Treiben des Morgens und des Feuers schlägt die Brücke zum Traum, der, am Ende Goethe anklingen lassend, das Bild eines brennenden Märchenwaldes entwirft:
Was habt ihr so lange im Wald geschlafen, hörte sie eine Stimme aus dem Märchenbuch […]. [V]or ihren Augen brannte der Wald, der Wind fuhr rauchig in ihr Nachthemd und ließ die Zipfel flattern, erfasste den ganzen Stoff, hieß [sic!] ihn knistern, prasseln. […] Eine Gloriole legte sich um den Wald, bebte und glomm auf, sie spürte die Hitze auf ihrem Gesicht, den Widerschein. Was habt ihr so lange im Wald geschlafen? Eine Funkengarbe flog über die toten Äste, die schwarzen Baumgerippe. […] Der Wald flackerte, ließ sich nicht fixieren. Er erhob sich ein Stück und sackte wieder zurück. Die Flammen strebten empor, hingen fest an den Stämmen. Glut fraß sich vorwärts. Über den Wipfeln, ganz in Rauch gehüllt, kreiste ein einzelner Rabe und schrie.21
Nach dem Wecken meint Mathilda, sie wäre gerne noch weiter am Feuer gewesen, wo sie, sich merkwürdig den Brand einverleibend, „selbst eine Flamme zu bilden imstande war“ – also baumhaft/hölzern gewesen ist und damit ihrer humanen Gestalt entfremdet. Alle drei Figuren suchen den Kontakt zum Brand. Olivia sucht die Glutnester, möchte „ins Zentrum des Brandes, offenbar stellte sie sich darunter etwas vor wie das Auge des Orkans, eine Stelle von bedeutender Intensität“, Birte tritt in ein Glutnest, ihr Schuh schmilzt. Mathilda beschreibt ihre Freundin dabei als Einheit mit dem verbrannten Wald, „für den […] jede Bemühung zu spät kam“: „Birte, gelbe Pilzfigur in Symbiose mit der verkohlten Fichte“.22
Obgleich Poschmann, anders als Thomas und Gänsler, merklich in Abstraktionen übergeht, auch durch intertextuelle Chor-Szenen, in denen das Nicht-Humane, Vegetabile hervortritt, inszenieren die drei Romane aus den Jahren 2021 bis 2023 keine unrealistischen Szenarien, sondern rücken konkrete menschliche Erfahrungen mit dem Klimawandel in den Fokus. Gerade in dieser Alltäglichkeit und Nähe der weiblichen Figuren zu den Bränden liegt die (politische) Stärke der Texte; sie konterkarieren ein potentielles, gesamtgesellschaftlich, wenn es zu Handlungsunfähigkeit führt, gefährliches Gefühl der Nicht-Betroffenheit.
References
- Röggla, Kathrin (2023): Das Wasser, Ditzingen: Reclam, S. 91. Rögglas Stück wurde, als Auftragswerk, 2022 im Staatsschauspiel Dresden uraufgeführt.
- Das zeigt sich deutlich am Romanende, als das Gespräch auf den Begriff des Öko-Feminismus kommt. Ivy, Mäzenatin, überlegt, inwiefern sie sich damit schmücken könnte: „Ich bin auch eine öko-feministische Aktivistin, wollte Ivy dem Generalintendanten sagen. Ich sorge mich um die Umwelt und alle Lebewesen. […] Ivy könnte ihren Lebenslauf auf der Website der Parker Foundation um den Begriff öko-feministisch ergänzen. Ivy Parker, öko-feministische Philanthropin. Das klingt doch gut“, Thomas, Claire (2022): Die Feuer. Übers. von Eva Bonné. München: Hanser, S. 233f.
- Ebd., S. 34, 37.
- Ebd., S. 46f., 105 (zum Happening: „Es ging darum, dass die Menschen sich selbst nicht so wichtig nehmen und ihre fehlgeleiteten Versuche, die Natur zu beherrschen, überdenken sollten“).
- Ebd., S. 110.
- Ebd., S. 233 („Ihre Vision von Beckett ist von diesem Bewusstsein durchdrungen“).
- Ebd., S. 253 (Hervorh. LMR).
- Gänsler, Franziska (2022): Ewig Sommer, Zürich/Berlin: Kein & Aber, S. 5.
- Ebd., S. 7, 52, 126, 156, 158.
- Ebd., S. 41.
- Ebd., S. 157.
- Ebd., S. 163f.
- Ebd., S. 166.
- Poschmann, Marion (2023): Chor der Erinnyen, Berlin: Suhrkamp, S. 58, 148, 82, 178, 184, 185, überdies: S. 83: „Herbstlaub fiel, es fiel durch das Gehäuse auf ihr Haar“, S. 141: „die Blätter raschelten, raschelten, lösten sich aus Mathildas Armen wie Herbstlaub“, S. 146: „Sie sah sich […] von schräg oben, aus der Höhe des fallenden Laubs“, S. 162: „sie besaß keinen Körper, sie besaß nur noch dieses lautlose Brausen“, S. 180: „Ein Wind, der mitten in ihr das Laub von einer Seite auf die andere rückte“.
- Ebd., S. 52.
- Ebd.
- Ebd., S. 75, 157.
- Ebd., S. 68.
- Ebd., S. 69.
- Ebd., S. 70.
- Ebd., S. 73f.
- Ebd., S. 157, 159.
SUGGESTED CITATION: Reiling, Laura M.: Es brennt! Waldbrände in aktuellen Romanen von Claire Thomas, Franziska Gänsler und Marion Poschmann, in: KWI-BLOG, [https://blog.kulturwissenschaften.de/es-brennt/], 15.04.2024