Solvejg NitzkeKLIMA

Geschlossene Atmosphären

Geschlossene Atmosphären Die Glasglocken der Cli-Fi Erschienen in: KLIMA Von: Solvejg Nitzke

Welt unter Glas

Der Traum von der Klimakapsel ist schon häufig gescheitert. Die Vorstellung einer vollkommen regulierten, idealen Atmosphäre ist spätestens seitdem im 19. Jahrhundert die ersten Glaspaläste für die Öffentlichkeit zugänglich wurden, immer nur einen kleinen Schritt von der Wirklichkeit entfernt. Doch das ständige Scheitern macht den Traum nicht weniger erstrebenswert. Im Gegenteil: je intensiver die katastrophalen Auswirkungen der Erderhitzung sicht- und spürbar werden, desto deutlicher scheint die Chimäre von der planetaren Glasglocke aus Menschenhand vor die Augen der Ingenieur*innen und Investor*innen zu treten. Im 19. Jahrhundert erlauben es Entwicklungen in Stahl- und Glasproduktion, die Dimensionen der bereits etablierten Gewächshäuser in nie gekanntem Ausmaß hochzuskalieren. Im 1848 eröffneten Palmenhaus in den Royal Botanic Gardens Kew konnte man ohne den Aufwand langer Reisen bequem durch die exotische Palmenwelt spazieren, die nicht nur die botanischen Schätze des Empires, sondern auch dessen überlegene technologische Macht demonstrierte.

Abb. 1: The Palm House in a coloured print of the 1850s by Thomas Hosmer Shepherd [https://en.wikipedia.org/wiki/Palm_House,_Kew_Gardens#/media/File:Great_Palm_House,_Kew_Gardens_(color_engraving).png]
Nur drei Jahre nach der feierlichen Eröffnung des Palmenhauses entstand 1851 dessen ökonomisches Pendant, der Crystal Palace, im Hyde Park. Nicht in erster Linie als Gewächshaus konzipiert, versammelte dieses Glashaus Natur- und Industrieprodukte der britischen Kolonien und ‚Homelands‘ in einer einzigen Great Exhibition und nährte so den Anspruch, eine ‚ganze Welt‘ unter Glas zu zeigen.

Treibhaus Erde

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verschob sich die Perspektive und die Erde wurde von etwas, das sich repräsentativ unter Glas versammeln lässt, selbst zu einer Art Treibhaus. Das Narrativ vom „Treibhaus Erde“ (Sergej Rickenbacher1), dessen metaphorisches Glasdach die Atmosphäre und darin speziell das Gas Kohlenstoffdioxid bildet, nährte die Vorstellung einer vom Weltall abgeschlossenen Insel, innerhalb derer ideale Bedingungen herrschen.

Die Idee, man könne oder müsse solche Bedingungen innerhalb eines tatsächlich geschlossenen Systems nachbilden, ist allerdings deutlich jünger und hängt eng mit der Ikone der „Whole Earth“ zusammen.2 Das Bild der ganzen Erde wird zu einer Projektionsfläche, die Umweltschutzbestrebung und Fortschrittsoptimismus, Aussteigertum und Design Thinking verbindet. Viele dieser Strömungen treffen sich in den Theoremen und Narrativen der Counter Culture. Gleichzeitig erzeugt „Whole Earth“ Resonanzen mit kybernetischem Netzwerk- und Systemdenken, sodass ein und dasselbe Bild sowohl die Gaia-These der Biologin Lynn Margulis und des Erdsystemwissenschaftlers James Lovelock als auch das Konzept des „Spaceship Earth“ des Architekten und Designers Buckminster Fuller illustriert.

Abb. 2: „Blue Marble“ Apollo 17 (1972) [https://visibleearth.nasa.gov/images/1133/the-blue-marble-from-apollo-17/1134l]
Die quasi-lebendige Gaia, die sich selbst reguliert und damit im schlimmsten Fall für die sie aus dem Gleichgewicht bringenden Menschen unlebbare Bedingungen schafft, wirkt wie das heißblütige Gegenstück zum Raumschiff, für das der Designer und Futurist Fuller sogar eine Anleitung geschrieben hat (Operating Manual for Spaceship Earth, 1969). Während das Raumschiff von Menschen gesteuert werden kann, scheint Gaia, wie die Göttin, nach der sie benannt ist, höchstens besänftigt, d.h. im Gleichgewicht gehalten zu werden. In beiden Modellen spielen „wir“ also eine entscheidende Rolle, insofern Menschen direkt Einfluss auf den Zustand der Erde nehmen können.

Der Philosoph Hans Blumenberg steht dieser Vorstellung direkter oder indirekter Steuerung mehr als skeptisch gegenüber. In Die Vollzähligkeit der Sterne3 vermutet er, dass die Schönheit des Anblicks der Erde aus dem Weltall vor allem auf die verhüllende Wirkung der Atmosphäre zurückzuführen ist, die eben nicht Zerstörung und Verschmutzung zeigt, sondern einen sich dem menschlichen Blick als unberührt darbietenden Reichtum. Diese Lufthülle, so Blumenberg weiter, sei eine „Hülle aus Unrat“, die Menschen (mit-)produzieren, wohin sie auch gehen. Der Einfluss auf die Atmosphäre ist also kein Ausnahmefall, kein ingenieurstechnischer Triumph, sondern in erster Linie ein „Schicksal des Menschen“ (Blumenberg). Aber, und das ist hier entscheidend, nicht als Einzelschicksal, sondern als Ergebnis kollektiver ungerichteter Handlungen.

Buckminster Fuller wendet diese Diagnose, ohne sie zu kennen, positiv um. Sein vielleicht bekanntestes Design, die geodätische Kuppel, ist nicht nur ein effektives Modell, das die Glashausarchitektur revolutioniert. Auf der Weltausstellung 1967 in Montreal erregte dieser neue Crystal Palace als „Biospère“ enorme Aufmerksamkeit. Diese Sphäre-als-Biosphäre trat umgehend in Resonanz mit Fullers Idee des Raumschiffs Erde4 und wurde zum Sehnsuchtssymbol von Hippies und Entwicklern, die sich eine zweite, intakte Erde wünschten.

Abb. 3: Eine Geodätische Kuppel von Richard Buckminster Fuller, die Biosphère, Ile Ste-Hélène, Montreal [https://de.wikipedia.org/wiki/Geod%C3%A4tische_Kuppel#/media/Datei:Mtl._Biosphere_in_Sept._2004.jpg]
Dieser Traum sollte in Arizona realisiert werden. Doch Biosphere II, das berühmt-berüchtigte megalomane Gewächshaus in der Wüste, war – natürlich nur ganz buchstäblich gemeint – nie ganz dicht. Anfang der 1990er finanzierte der Milliardär Edward Bass den Bau des Komplexes, mit dem er eine Alternative zur Biospäre I, der Erde, schaffen wollte. Zwei größere Experimente, an denen nicht nur die NASA großes Interesse hatte, scheiterten, denn die angestrebte Autarkie der Ökosysteme unter Glas konnte nie erreicht werden. Parasitäre Mikroben, Kakerlaken und Pilze drangen ein, Sauerstoff drang aus und auch das irdische Wetter nahm Einfluss auf das, was in den Gebäuden geschah. In T.C. Boyles Roman Terranauts (2016, dt. Die Terranauten, 2017) wird vor allem das Zusammenleben der Menschen in dem von Biosphere II inspirierten Szenario zum Problem und scheint die Unmöglichkeit des Gelingens zu besiegeln. Er reiht sich damit in die popkulturelle Deutung des Experiments als Havarie ein, die wahrscheinlich mehr von Robinsonaden und Horrorfilmen inspiriert ist als von den letztlich banalen, wenn auch wissenschaftlich durchaus interessanten Abläufen im Glashaus.

Heute gehört die Anlage der University of Arizona, die Experimente in kleinerem Maßstab durchführt – nicht aber mit weniger großen Hoffnungen (Bericht des Regionalfernsehens ABC 15) – und die beeindruckenden Räumlichkeiten für Konferenzen und Veranstaltungen vermietet.

Was Cli-Fi (nicht) kann

Terranauts ist ein typisches Beispiel dafür, wie die Fiktionalisierung eines (Gedanken-)Experiments zu unterhaltender Cli-Fi (Climate Fiction) mit kritischem Potenzial werden kann. Auch wenn Boyle hier weder (post-)apokalyptische noch utopische Zukünfte des Klimawandels inszeniert, ist die „Botschaft“ doch genauso deutlich, wie die anderer Versionen dieser Geschichte: Es gibt keine zweite Biosphäre, es gibt keinen Planeten B und wenn, dann wird es eng – wollen wir das? Natürlich nicht, also retten wir endlich, endlich die Biosphäre I. Alles gut. Aber, so lautet die übliche Kritik an Cli-Fi, wenn das so liefe, hätte es dann nicht schon längst funktioniert?

Diese Diskussion führt, auch in ihrer neuesten Iteration, nirgendwo hin. Selbstverständlich ist eine intensivierte Aufmerksamkeit für die Probleme der Gegenwart wünschenswert. Jedoch stellt sich die Frage, was Literatur leisten kann oder will. Cli-Fi ist ein Genre, das als Ableitung von Sci-Fi im weitesten Sinne Imaginationen von Klimazukünften umfasst. Ob es sich dabei um ein „echtes“ Genre oder einen thematischen Schwerpunkt handelt, der viele Formen zusammenbringt, ist hier unerheblich. Interessant ist, dass das Genre poetologisch wendet, was das Glashaus als materielles Gebilde verspricht: die Repräsentation einer Welt, die im Hier und Jetzt (noch) nicht zu haben ist und die nur existieren kann, wenn eine Außenwelt von einer Innenwelt (unter hohem Energieeinsatz) abgegrenzt wird. Das ist nicht nur literaturgeschichtlich ergiebig, sondern auch epistemologisch und kulturpolitisch spannend. Denn wie kann es sein, dass wir nun, im 21. Jahrhundert, doch die Literatur bemühen, um Zukunft und Zukünfte wieder denken zu können? Welchen Status haben Texte, die Machbarkeit nahelegen, Verhalten modellieren und sogar motivieren sollen? Müssten sie vielleicht sogar peer review-Verfahren durchlaufen, damit auch „stimmt“ bzw. möglich ist, was darin steht?

Meine Behauptung, Cli-Fi ließe sich als textuelles Glashaus, als begehbare Alternativwelt verstehen, muss vor dem Hintergrund der scheiternden Klimakapseln, der undichten, abhängigen Großprojekte und Phantasmen technologischen Willens pessimistisch klingen. Denn wenn die Analogie stimmt, dann kann auch hier kaum „Literatur“ im starken Sinne – also als autonome Kunst – zustande kommen. Ich will nun wahrlich nicht darauf hinaus, dass Kim Stanley Robinsons Romane neben denen Thomas Manns nicht bestehen können. Mir geht es darum, zu fragen, wie viel mit dem Lesen und Schreiben von Romanen getan ist. Und darum will ich eine pessimistische Lesehaltung vorschlagen.

Pessimist*innen unter Glasglocken

Diese Lesehaltung ist mir zuerst in literarischen Texten begegnet, die eine spannungsreiche Beziehung zu Cli-Fi aufbauen. Jenny Offils Weather (2020) und Judith Hermanns Daheim (2021) haben auf den ersten Blick nicht viel mit Cli-Fi zu tun. Offils Protagonistin Lizzie Benson ist nach einem gescheiterten Promotionsversuch Bibliothekarin geworden und lebt verheiratet und mit einem kleinen Sohn in New York. Sie kümmert sich um Mann, Kind und Bruder und um die vielen Menschen, die ihr in der Bibliothek und auf dem Weg dorthin begegnen und irgendwie nicht ganz ins Leben zu passen scheinen. Sie nimmt einen Job als Assistentin einer erfolgreichen Klima-Publizistin an, wo sie die angstvollen Fragen von Leser*innen und Hörer*innen ihrer Chefin beantwortet. Herrmanns Daheim scheint noch weiter weg von großen Klimaszenarien zu sein. Die mittelalte Protagonistin zieht ans Meer, lernt Menschen kennen, geht schwimmen und lebt ein alles in allem unaufregendes Leben. Der Roman entfaltet sich als Alternative zu einem potenziell viel spannenderen Szenario und auch wenn die Erzählung hier, anders als Offils fragmentarischer Text, vollkommen linear verläuft, bleibt er seltsam unverbunden mit der Umwelt, die er entwirft. Es regnet nicht mehr; Massentierhaltung wird thematisiert, aber nicht weiter kommentiert, alle Figuren scheinen festgefahren. Auch Lizzie kann, trotz Plänen in alle Richtungen, nicht handeln, es gibt, scheint es, keine Entscheidungen, die wirklich in ihrer Hand lägen.

Die Protagonistinnen taugen nicht zum Vorbild, sie sind aber auch keine abschreckenden Beispiele für irgendetwas. Vielmehr ähneln sie Esther Greenwood, Sylvia Plaths Protagonistin aus dem Roman The Bell Jar (1966, Die Glasglocke, 1968). Sie hätten alle Möglichkeiten, bewegen sich aber irgendwann kaum noch, weil zwischen ihnen und ihrer Umwelt eine unüberwindliche Glaswand zu existieren scheint. Das ist, wenn man so will, die andere Seite der großen Hoffnungen, die das kontrollierte, künstliche Klima der Glashäuser wecken. Wenn man einmal drinsitzt, ist nicht mehr viel zu machen und wahrscheinlich hilft das Lesen auch nicht weiter. Was aber tun, mit solchen Texten? Verbieten sich Untätigkeit und Depression nicht angesichts der Menge dessen, was zu tun wäre?

Der Anglist und Kulturwissenschaftler Mark Schmitt plädiert für Pessimismus. „The cultural logic of the worst“5 führe aber, so Schmitt, nicht dazu, handlungsunfähig zu werden. Vielmehr erlaube sie es, das zu konfrontieren, was man nicht weiß, und sich um epistemologisches Scheitern und Brüche zu kümmern. Pessimistisch zu sein bedeutet in dieser Sichtweise, dass wir, statt noch mehr zu tun, damit beginnen können, um die Zukünfte zu trauern, die nicht (mehr) sein können, und so dafür Sorge zu tragen, dass es Zukunft geben kann.

Pessimistisch sein heißt nicht, dass man die eigene Umwelt nicht pflegt und sich um sie sorgt, ganz im Gegenteil. Aber so wie Blumenberg feststellt, dass die Atmosphäre des blauen Planeten mindestens so viel verhüllt, wie sie zeigt, bedeutet pessimistisch Cli-Fi zu lesen, einzusehen, dass wir schon längst unter der Glasglocke sitzen, dass sie (gänzlich) zu zerstören aber keine Option ist. Die geschlossene Atmosphäre als kontrollierbares Artefakt ist ein Phantasma, die geschlossene Atmosphäre als einziger Lebensraum ist eine Realität, der wir (auch in der Literatur) nicht entkommen können.

References

  1. Vgl. Rickenbacher, Sergej (2021): Sonne und Glas, Untergang und Rettung. Zur Genealogie des Narrativs „Treibhaus Erde“, in: Urs Büttner und Dorit Müller (Hrsg.): Climate Engineering. Berlin: Matthes & Seitz, S. 99-113 (=Dritte Natur 3/2021).
  2. Vgl. Nitzke, Solvejg und Nicolas Pethes (Hrsg., 2017): Imagining Earth: Concepts of Wholeness in Cultural Constructions of Our Home Planet. Bielefeld: transcript. https://doi.org/10.1515/9783839439562.
  3. Blumenberg, Hans (2011): Die Vollzähligkeit der Sterne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  4. Die Kuppel, die seit den 1980er-Jahren als Zentrum des „Epcot“-Zukunftsbereichs im Disney World Vergnügungspark in Florida steht, heißt passenderweise „Spaceship Earth“ und beherbergt eine Achterbahn.
  5. Schmitt, Mark (2023): Spectres of Pessimism. A Cultural Logic of the Worst. Basingstoke: Palgrave Macmillan. https://doi.org/10.1007/978-3-031-25351-5.

SUGGESTED CITATION: Nitzke, Solvejg: Geschlossene Atmosphären. Die Glasglocken der Cli-Fi, In: KWI-BLOG, [https://blog.kulturwissenschaften.de/geschlossene-atmospharen/], 13.11.2023

DOI: https://doi.org/10.37189/kwi-blog/20231113-0830

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