Juliane BoroschPixelprojekt+City Scripts

Relight my Fire

Relight my Fire Industrieerbestätten in altem und neuem Licht Erschienen in: Pixelprojekt+City Scripts Von: Juliane Borosch

[Dieser Beitrag erscheint in der Reihe „City Scripts trifft Pixelprojekt_Ruhrgebiet“, einer Kooperation des KWI-Blogs, dem Leiter des „Pixelprojekt_Ruhrgebiet“ Peter Liedtke (DGPh) und Autor*innen des Forschungskollegs City Scripts, die sich künstlerisch oder wissenschaftlich mit Bildserien des Pixelprojekt_Ruhrgebiet auseinandersetzen.]

Während wir in den letzten Wochen eine digitale ‚Tour de Ruhr‘ erleben durften, die uns von den kleinen Alltäglichkeiten des Lebens in der Region (Schulhöfe, Trinkhallen), über alte und neue Verbindungslinien (Bahntrassen, Logistikadern) in die Zwischenstädte der Region und nach Rotterdam, China, und die ganze Welt hinausgetragen hat, kehren wir zum Abschluss zurück zu den Wurzeln: Zu den ehemaligen Funktionsträgern und Ankerpunkten des Ruhrgebiets, den monumentalen Überbleibseln von Industrieerbestätten.

Ehemalige Fördertürme, Hochöfen und Gasometer (bzw. die, die noch übrig sind) sind Wahrzeichen, die, wie Rolf Lindner sagt, „die Essenz [der industriellen(?)] Stadterfahrung ausdrücken“. Dadurch symbolisieren sie heute sowohl das die Region prägende Industriezeitalter als auch den vermeintlich postindustriellen Wandel und die Deindustrialisierung.1 Als Schauplätze von harter Arbeit und Mühsal, und als nun vermeintlich funktionslose Platzverschwender auf neu zu erschließenden Industrieflächen, hätten diese Orte jedoch genauso gut mit den ihnen angeschlossenen Mienen, Fabriken und Stahlwerken verschwinden können. Jedoch sind diese monumentalen und materiellen Strukturen von Dauer: Das zeigen sowohl die Vielzahl an Fotostrecken im Pixelprojekt, die Fördertürme zu jeder Tages- und Nachtzeit abbilden, das – mal mehr mal weniger scherzhafte – Beschreiben des berühmten Förderturms der Zeche Zollverein als „Eiffelturm des Ruhrgebiets“, sowie der fast themenparkartige Nachbau eines Förderturms auf einer Autobahnraststätte der A40 bei Wattenscheid. Als kulturelle Ankerpunkte in der Zeit nach der Schwerindustrie zwischen Ruhr und Emscher erinnern Fördertürme, Hochöfen und Gasometer an die Errungenschaften und Opfer der Bewohner ihrer Region, erörtern neue Landschaftsfunktionen und erdenken neue Zukunftsvisionen. Hierzu treten diese Gebäude immer häufiger als Medien in Erscheinung und untermalen die Beobachtung von Frank Eckardt, dass „die Allgegenwart des ‚Urbanen‘ und der ‚Medien‘ die visuelle Oberfläche der Gesellschaften des 21. Jahrhunderts ist“.2

Schon vor der Zeit der sozialen oder gar der Massenmedien fungierten Gebäude als (urbane) Medien, die monumentale, präzise Botschaften der Kunst oder der Macht vermitteln sollten. Tatsächlich galten Gebäude als so ausdrucksstark und kommunikativ, dass Victor Hugo in seinem berühmten „Glöckner von Notre Dame“ die Erfindung des Buchdrucks als den Tod der Architektur beklagt, weil Botschaften nun auf eine andere, einfachere, aber weniger ästhetisch beeindruckende Weise übermittelt würden.3 Fördertürme und Industriebauten sind natürlich moderne Monumente, die weit nach der Erfindung des Buchdrucks errichtet wurden, jedoch sollten auch sie Macht und Kultur zum Ausdruck bringen. Man denke beispielsweise an das sogenannte „Schloss der Arbeit“, die Zeche Zollern in Dortmund Bövinghausen.4

Diese beeindruckende Funktion als kommunikative Landmarke hat auch den Zerfall der Schwerindustrie überdauert und nimmt nun zusätzliche Funktionen und Besonderheiten abseits der ursprünglichen Eigenschaften an. Licht, Beleuchtung und Lichtkunst spielen in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle. Diese zum Medium gewordenen Monumente eignen sich so eine zusätzliche visuelle Schicht an: die Lichtarchitektur nutzt Tages- oder Kunstlicht und möglicherweise Farben, um bestimmte Teile oder Merkmale eines Gebäudes hervorzuheben. Diese Highlights können eine bestimmte Atmosphäre schaffen, sind aber meist statischer Natur.

Manchmal bedarf es zu einer solchen Inszenierung nur der strategischen Platzierung eines industriegefertigten Materials, wie beispielsweise dieser Stele am Duisburger Hafen, die gerade zu Sonnenauf- und Untergang das natürliche Licht einzufangen vermag. Das Kunstwerk „Rheinorange“, eine Skulptur von Lutz Fritsch, fotografisch eingefangen und gerahmt von Peter Liedtke, fungiert als weithin sichtbarer Meilenstein und farbliche Widerspiegelung des alten, in anderer Form andauernden Glanzes. In ähnlicher Weise lassen sich auch andere rostige Riesen des Ruhrgebiets, wie etwa die Henrichshütte Hattingen oder Teile der Kokerei auf Zollverein auf natürliche Weise in Szene setzen.

„Rheinorange“, Skulptur von Lutz Fritsch, Duisburg, 1998
Abb.1, „Rheinorange“, Skulptur von Lutz Fritsch, Duisburg, 1998. Erschienen in der Reihe „Skulptur Emscherpark“ (© Peter Liedtke)

Vielerorts überstrahlen die Giganten des vergangenen Zeitalters als Leuchttürme allerdings erst in der Nacht ihre ehemaligen Areale, die nun zu Parks oder ähnlichen Freizeitflächen geworden sind. Wie auf dem Bild der Zeche Erin von Thomas Pflaum projizieren sie in großen Leuchtbuchstaben die Namen der alten Anlagen und dienen somit gleichzeitig der Erinnerung und der Verortung.

Farbig beleuchtetes Fördergerüst
Abb. 2 Aus der Reihe „93/03 – Ruhrgebiet“ (© Thomas Pflaum)

In ähnlich erinnernder Funktion wird Licht auch zum visuellen Wiederaufglühen längst erloschener Industriefeuer verwendet. Die Beleuchtung in Rot-Orange (oft durch die rostenden Gebäude selbst untermalt) verwandelt beispielsweise das Wasserbecken entlang der ehemaligen Kokerei auf Zollverein (wenn es nicht als Eisbahn zum winterlichen Schlittschuhlaufen genutzt wird) in eine glimmende Masse, die an die Kohleströme des letzten Jahrhunderts erinnert. Die Fotografie aus der Reihe „Tage und Nächte der Industriekultur“ von Jens Haun zeigt, wie auf künstlerische Art ein ‚harmloses‘ Erinnern inszeniert, welches Dank der beeindruckenden Kulisse zum Erlebnis wird und zum Einfühlen in die Geschichte des Ortes einlädt.

Rot beleuchtetes Wasserbecken entlang der ehemaligen Kokerei auf Zollverein
Abb. 3, Aus der Reihe „Tage und Nächte der Industriekultur“ (© Jens Haun)

Eine andere immersive Facette der Lichtarchitektur zeigt die Fotografie aus dem Landschaftspark Duisburg-Nord aus der Serie „Nachtzeichen – Streifzug auf der Route der Industriekultur“ von Dieter Golland. Selektiv platzierte grüne Lampen lassen ein Stahlgerüst sowie die daruntergelegene Ausschachtung in einem schwarz-grünen Kontrast erstrahlen. Durch den Einsatz farbigen Lichts werden nicht nur bestimmte Aspekte des Ortes betont, sondern andere Eigenschaften gleichermaßen versteckt. Die Farbwahl Grün lädt auch zur Interpretation ein, könnte sie doch (neben zahlreichen weiteren Optionen) sowohl die schrittweise Rückeroberung des Geländes durch eine Industrienatur als auch die Science-Fiction-artige Fremdheit dieser Landschaft symbolisieren.

Stahlgerüst im Landschaftspark Duisburg-Nord in grüner Beleuchtung
Abb. 4, Aus der Reihe “Nachtzeichen: Streifzug auf der Route der Industriekultur” (© Dieter Golland)

Dieser Einsatz von Licht ähnelt dem Einsatz von Projektionen in der sogenannten Medienarchitektur, welche die meist statische Lichtarchitektur erweitert und vermehrt auch in der Inszenierung von Wahrzeichen des Industriezeitalters zum Einsatz kommt. Projektionen müssen in der Regel in der Dunkelheit durchgeführt werden, weshalb Tom Gunning von ihrer „doppelten Rolle der Aufhebung und Beschwörung von Raum“ spricht.5 Diese Beschreibung trifft besonders gut auf Projektionen zu, die im offenen städtischen Raum durchgeführt und auf Gebäude geworfen werden. Solche Projektionen schaffen nicht nur einen neuen Raum, sondern verändern vorübergehend auch einen bestehenden Raum: Während Projektionen einfach als „Lichtspiel“ betrachtet werden können, können sie auch einen „Raum der Illusion“ schaffen.6 Die Zuschauer sind eingeladen, in eine – zumindest räumlich – transformative Performance einzutauchen. Diese Projektion platziert Bilder in der Stadt (wenn auch im Dunkeln), ohne die Umgebung physisch auszuschneiden. Dies ermöglicht eine Kontextualisierung der Bilder in ihrer Landschaft, relativiert die Projektion und löst den physischen Stillstand des Industrie-Monuments etwas auf.

Fördergerüst der Zeche Zollverein bei Nacht. Im Hintergrund ein Blitz.
Abb. 5 Aus der Reihe „Nach der Kohle“ (© Rainer Schlautmann)

Man kann Naturlichtspiele wie den einschlagenden Blitz auf dem Foto vom Förderturm des Schacht 12 (Zeche Zollverein) aus der Sammlung „Nach der Kohle“ von Rainer Schlautmann kaum planen. Jedoch ist der Einsatz von Gebäudefassaden als Bildschirm oder Projektionsfläche im letzten Jahrzehnt äußerst beliebt geworden. Dabei handelt es sich manchmal (wie hier zu sehen) um eine Kinoleinwand im eigentlichen Sinne – wenn auch das Vorführen eines futuristischen Klassikers wie „Metropolis“ auf der Fassade eines stillgelegten Förderturms weitere Bedeutungsebenen eröffnet. Vielfach werden heute allerdings ausgefallene, auf das Gebäude selbst bezogene 3D Projektionen inszeniert, nämlich im sogenannten ‚projection mapping‘. Derartige Medienfassaden als „Darstellung eines dynamischen Textes, einer Grafik oder eines Bildes“ werden in der Medienarchitektur kontextualisiert, die das Gebäude und seine Installation in der Stadt verortet, wie Haeusler argumentiert.7

Eine aufwendige Projektionsinstallation zum zehnjährigen Jubiläum der Kulturhauptstadt 2010 auf dem Gelände des Welterbes Zollverein im Frühjahr 2020 zeigt die vielfältigen Arten der Nutzung des ‚projection mapping‘: Eine Installation auf dem Schachtturm präsentierte Zitate von berühmten und gewöhnlichen Menschen aus der Region bezüglich ihrer Erinnerungen an 2010, über das Ruhrgebiet heute, und über ihre Vision für das nächste Jahrzehnt. Die Installation umfasste auch die zwei benachbarten Fassaden rund um den Hauptplatz vor dem Wahrzeichen. Sie zeigte eine Mischung aus einem zusammenfassenden Video der kulturellen Ereignisse, die 2010 im Ruhrgebiet stattfanden, und aus Sequenzen, die indirekt oder direkt kreativ mit der Struktur der Fassaden arbeiteten.

Auch auf dem Dortmunder U, oder zuletzt auf der Zeche Hannover während der Extraschicht 2022, sind solch aufwendige Projektionen gezeigt worden. Sie thematisieren die Vergangenheit des Gebäudes oder gar einer ganzen Region, wie im Fall der Installation „Phönix Ruhr“ auf der Zeche Hannover. So definieren sie einen Wendepunkt im postindustriellen Wandel und entwerfen Visionen, die den vergangenen und gegenwärtigen Wahrzeichen auch in Zukunft neue Funktionen zuweisen und ihre andauernde Bedeutung untermalen. Um es grob mit Marshall McLuhan zu halten: „The medium is the message“.

Als Medium, Bildschirm und Projektionsfläche senden die Fördertürme, Gasometer und Hochöfen des Ruhrgebietes, wie auch ihre Gegenparts im amerikanischen ‚Rust Belt‘ und in anderen postindustriellen Regionen des Nordatlantiks, figurale, narrative und mediale Zustandsbeschreibungen und Zukunftsvorschreibungen. Diese analysieren wir in unserem Forschungskolleg als Stadtskripte, die einem fortlaufenden Wandel unterstellt sind. Die Lichtinszenierungen der Wahrzeichen des Ruhrgebiets in den Fotografien des Pixelprojekts zeichnen eine Chronologie der fortschreitenden Mediatisierung nach und deuten die weitere Entwicklung hin zu ausgefeilten, gebäudespezifischen, strategischen, audio-visuellen Erzählungen nach. Der funktionale Wandel von Monumenten des Industriezeitalters zu Zukunftsorten der Region ist fortgeschritten und ihr Fortdauern als Anker- und Anlaufpunkte des Ruhrgebiets scheint somit – zumindest aktuell – gesichert.

References

  1. Lindner, Rolf (2006): The Imaginary of the City, In: Günter H. Lenz et al. (Hrsg.) Toward a New Metropolitanism: Reconstituting Public Culture, Urban Citizenship, and the Multicultural Imaginary in New York and Berlin, Heidelberg: Universitätsverlag Winter, S. 209‒215.
  2. Eckard, Frank (2007): Media and Urban Space. Understanding, Investigating and Approaching Mediacity, Berlin: Frank & Timme, S. 7. (eigene Übersetzung).
  3. Hugo, Victor: Der Glöckner von Notre Dame.
  4. https://zeche-zollern.lwl.org/de/.
  5. Gunning, Tom (2009): The Long and the Short of It: Centuries of Projecting Shadows, From Natural Magic to the Avant-Garde, In: Stan Douglas and Christopher Eamon (Hrsg) Art of Projection, Berlin: Hatje Cantz, S. 23. (eigene Übersetzung).
  6. Gunning, Tom (2009): The Long and the Short of It: Centuries of Projecting Shadows, From Natural Magic to the Avant-Garde, In: Stan Douglas and Christopher Eamon (Hrsg) Art of Projection, Berlin: Hatje Cantz, S. 23. (eigene Übersetzung).
  7. Haeusler, M. Hank (2009): Media Facades: History, Technology, Content, Stuttgart: Avedition, S. 13-14. (eigene Übersetzung).

SUGGESTED CITATION: Borosch, Juliane: Relight my Fire. Industrieerbestätten in altem und neuem Licht, in: KWI-BLOG, [https://blog.kulturwissenschaften.de/relight-my-fire/], 13.07.2022

DOI: https://doi.org/10.37189/kwi-blog/20220713-0830

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